Bernhard Hofmann und Renate Valtin berichten von der 48th Annual Convention der IRA in Orlando, Florida
48th Annual Convention der IRA in Orlando, Florida
Die
48. Annual Convention der International Reading Association in Orlando,
Florida, vom 4. bis zum 8. Mai 2003 stand unter dem Motto „Making a
difference in reading“.
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Es war ein
gigantisches Treffen und einige Zahlen sollen dies deutlich machen:
19108 registrierte Teilnehmer und Teilnehmerinnen, über 500 (!)
Veranstaltungen, darunter 21 ganztägige „Institutes“, 159 „Sessions“
(Dauer 1 Std.), 81 Microworkshops (Dauer 2 Std. 45 Min.), 58 Symposien
(Dauer ebenfalls 2 Std. 45 Min.), 36 „Special Interest Groups“, 44
Veranstaltungen zu Title-I, der amerikanischen Gesetzesinitiative zur
Verbesserung des Leseunterrichts, sowie eine ganze Anzahl von
„Technology Labs“, „Technology Sessions“, „Spanish Sessions“ und
„Cosponsored Meetings“.Veranstaltungsorte waren das Kongresszentrum
sowie zwei im Umkreis gelegene riesige Hotels. Die
Eröffnungsveranstaltung hatte in diesem Jahr ein neues Programmelement:
die Nationalfahnen der über 100 Mitgliedsländer der IRA wurden von
ausgewählten Personen nacheinander in das abgedunkelte Auditorium
hereingetragen. Während sich Bernhard Hofmann darum bemühte, wie die
anderen Fahnenträger ein angemessen würdevolles Gesicht beim
Hereintragen und Herumschwenken der deutschen Fahne zu machen und den
für die Präsentation auf dem Podium vorgeschriebenen 7-Sekunden-Takt
genauestens einzuhalten, musste Renate Valtin mit Hunderten von anderen
Zuspätgekommenen draußen vor der geschlossenen Tür warten, damit der
weihevolle Fahnenakt nicht gestört wurde.Das Kongressprogramm war höchst
vielfältig und betraf verschiedene Themenbereiche. Die ganz
überwiegende Mehrzahl der Veranstaltungen beschäftigte sich mit
Unterrichtspraxis, mit Vorgehensweisen im Unterricht, mit
Vermittlungsstrategien und mit praktischen Ansätzen zur Aktivierung von
Lesebereitschaft. Zu diesem Bereich zählen auch Veranstaltungen, die
praxisbezogene Vorgehensweisen aufzeigten, um Lesepraxis und
Beschäftigung mit Literatur mehr ins Zentrum der Schulphilosophie zu
rücken. Ein weiterer Schwerpunkt war die Lehrerbildung mit Fragen, was
Lehrpersonen wissen müssen und wie sie dieses Wissen angemessen
erwerben, gemäß der Devise: „Teachers – not programs make the
difference“!Veranstaltungen zur Darstellung und Vermittlung von
Forschungsergebnissen erscheinen im Vergleich mit früheren Annual
Conventions deutlich geringer vertreten zu sein. Hier leitete Renate
Valtin eine „Featured Research Session“ zum Thema „Program for
International Student Assessments (PISA): Presenting the PISA Findings“
und stellte gemeinsam mit William G. Brozo, Maria de Lourdes Dionisio
und Keith Topping die Ergebnisse der PISA taks force vor, einer von der
IRA einberufenen Kommission, welche die Aufgabe hatte, die Relevanz der
Ergebnisse von PISA zu prüfen. Der Report, der auch im Netz nachzulesen
ist (https://www.dgls.de), beschäftigte sich zunächst mit einer
methodischen Kritik von PISA, bezogen auf das literacy-Konzept (dort
erhebt sich die Frage, inwieweit eine transkulturelle Vergleichbarkeit
der Tests gegeben ist, zumal die Validität für Außenstehende nicht
überprüfbar ist, da die Items geheim sind) und das Design der Studie
(die 15-jährigen in den unterschiedlichen Ländern haben völlig
unterschiedliche häusliche und schulische Lernerfahrungen, auch aufgrund
von Unterschieden der Schulstruktur; es handelt sich zum Teil um
Selbstberichte von Schulleitern und Jugendlichen mit Gefahren der
mangelnden Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit; zum Unterricht und zu
Lehrpersonen liegen keine Daten vor). Im Anschluss daran werden
Ergebnisse, die tragfähig erscheinen, referiert und praktische
Folgerungen dazu gezogen.Der Bericht schließt ab mit Empfehlungen zu
drei Bereichen:1. Zur Chancengerechtigkeit: Wie kann man eine hohe
Leistungsqualität bei gleichzeitiger geringer Leistungsstreuung
erreichen?2. Wie lassen sich die Defizite in bezug auf Lesekompetenz und
Motivation der Jungen beheben? Und3. Welche Konsequenzen ergeben sich
für den Unterricht?Im Tagungsverlauf aufgefallen sind einige wenige
Veranstaltungen mit Titelbestandteilen wie „get that brain work“ und
„get the brain ready to read“. Hier flossen unter anderem als ergänzende
Übungsformen Techniken der Edu-Kinesiologie, des „Brain-Gym“, der
„liegenden Acht“ und der Überkreuzbewegungen ein, wie sie eher der
Esoterik als einem forschungs- und wissenschaftsbasierten Lese-
/Schreib- und Literaturunterricht zugerechnet werden können.Eine ganze
Reihe von Veranstaltungen zielten auf Lese- und Literaturunterricht als
Mittel zur Förderung eines kulturellen Brückenschlags zwischen
unterschiedlichen Ethnien, zur Sensibilisierung für Mobbing („bullying“)
und zur Förderung von Konfliktlösestrategien.
Ein anderer
Themenschwerpunkt war die vorschulische Erziehung und die Vorbereitung
auf das Lesen- und Schreibenlernen, die ja gegenwärtig auch in
Deutschland diskutiert werden. Bei den vorgeschlagenen Maßnahmen
handelte es sich überwiegend darum, Kinder mit der Schriftsprache,
ihren Strukturen und ihrer Funktion vertraut zu machen. Interessant war
auch, dass in einer ganzen Reihe von Ländern im Vorschulbereich und im
Anfangsunterricht ganz gezielt regelmäßige Vorlesezeiten eingeplant
sind. Hier lesen Lehrer, Eltern oder auch Gäste der Gruppe oder Klasse
vor. Dies soll Kinder dazu befähigen, gehörte Geschichten in der
Vorstellung mitzuerleben und in der Phantasie auszubauen. Diese
Fähigkeit wird in der Regel als eine grundlegende Voraussetzung dafür
betrachtet, dass Kinder einerseits nach Abschluss des Leselehrgangs zu
eifrigen Lesern werden, andererseits soll dadurch die Fähigkeit zum
späteren Geschichtenschreiben bereits zu einem besonders frühen
Zeitpunkt vorbereitet und entwickelt werden.
Das Annual Banquet
bot den würdigen Rahmen für den Übergang der Präsidentschaft der IRA von
Jerry L. Johns auf Lesley Mandel Morrow und hier überreichte Renate
Valtin als chairperson des Citation of Merit Committee den William S.
Gray Citation of Merit Preis an Robert Thierney wegen seiner
herausragenden Verdienste für die International Reading Association und
die Leseforschung (er war der erste, der die jetzt überall so beliebten
„Portfolios“ vorgeschlagen hat).
Insgesamt bot der Kongress eine
Vielzahl interessanter Veranstaltungen und die Wahl fiel häufig schwer.
Es gab vielfältige Gelegenheiten, Kontakte zu knüpfen und auch zu
pflegen. Die Organisation dieser gigantischen Veranstaltung verdient
höchstes Lob. Viele Helfer sorgten für einen reibungslosen Ablauf, der
Transport der Teilnehmer zwischen Tagungszentrum und den Hotels war gut
organisiert und ein „Internet-Cafe“ mit vielleicht 50 Computern bot
kostenlosen Internetzugang und e-mail-Korrespondenz.
Materialien
zu einzelnen Veranstaltungen wurden verstärkt ins Internet zum
Herunterladen gestellt und können unter http://www.reading.org/orlando
abgerufen werden.
Auf dem Kongress wurden 10 Kinderrechte verabschiedet, die wir zum Schluss noch vorstellen möchten:
INTERNATIONAL READING ASSOCIATION
Kinderrechte
1. Kinder haben das Recht auf einen Anfangsleseunterricht, der ihren individuellen Bedürfnissen entspricht.
2.
Kinder haben das Recht auf einen Leseunterricht, in dem sowohl die
Fähigkeit als auch die Motivation, zunehmend komplexer werdende
Materialien zu lesen, gefördert werden.
3. Kinder haben das Recht auf
gut ausgebildete Lehrpersonen, die ihre professionellen Kompetenzen
durch wirksame Weiterbildung stetig weiterentwickeln und auf den
neuesten Stand bringen.
4. Kinder haben das Recht auf Zugang zu einem
breiten Spektrum von Büchern und Lesematerialien im Klassenzimmer, in
der Schule und den öffentlichen Büchereien.
5. Kinder haben das Recht
auf Überprüfung ihrer Leseleistungen, wobei ihre Stärken und Schwächen
festgestellt werden und sie an den Entscheidungen, was und wie sie
lernen sollen, beteiligt werden.
6. Kinder mit Leseschwierigkeiten haben das Recht auf eine intensive Förderung durch eigens dazu ausgebildete Fachleute.
7. Kinder haben das Recht auf einen Leseunterricht, der Eltern und die Gemeinde in das schulisches Leben einbezieht.
8. Kinder haben das Recht auf einen Leseunterricht, der ihre Fähigkeiten in der Erstsprache einbezieht.
9.
Kinder haben das Recht auf einen uneingeschränkten Zugang zur
Technologie, die für die Verbesserung des Leseunterrichts eingesetzt
wird.
10. Kinder haben das Recht auf Klassenzimmer, in denen optimale Lernmöglichkeiten gegeben sind.
Christoph Jantzen
Gibt es eigentlich Mitgliederinnen? Geschlechtersensitive Sprache
Hanna Sauerborn
Frage des Monats: Leseflüssigkeit fördern
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