Bildungssprache und Fachsprache

Mira Werner

Pädagogische Hochschule Freiburg

Freiburg 2018

Den gesamten Text können Sie hier als PDF herunterladen:

MLM_Bildungs-und_Fachsprache

Worum geht es?

Bildungssprache

Tolles Wetter heute!

Später Schwimmbad?

Ein Tief über Frankreich macht der Hitzewelle im Westen und Südwesten Deutschlands heute ein Ende. Es ist mit teilweise unwetterartigen Niederschlägen zu rechnen.

Diese Aussagen thematisieren beide das Wetter. Trotzdem ist sofort erkenntlich, dass sie in verschiedenen Situationen getätigt wurden. Während die erste Aussage möglicherweise aus einem Gespräch zwischen zwei Freunden stammt, könnte die andere einer Wettervorhersage entnommen sein.

Erkennbar ist das unter anderem an den verwendeten Wörtern, der Grammatik, der Informationsdichte und der Komplexität der Aussagen. Bei der ersten Aussage werden einfache Wörter verwendet. Die Sätze sind unvollständig und kurz. Sie ist im Gegensatz zur zweiten Aussage in einen Dialog eingebettet. Damit kann sie tendenziell der Alltagssprache zugeordnet werden. Diese wird in alltäglichen Kommunikationssituationen gebraucht.

Die zweite Äußerung ist dagegen in monologischer Form. Es werden komplexe Satzstrukturen gebraucht. Die Aussage enthält viele Informationen, wodurch sich ihre Komplexität erhöht. Sie beinhaltet damit Anteile, die der Bildungssprache zuzuordnen sind. Bildungssprache wird eingesetzt, wenn die behandelten Informationen über alltagssprachliche Thematiken hinausgehen (siehe zum Beispiel Habermas 1981, Tajmel 2017). Sie ist komplexer, kompakter und elaborierter als Alltagssprache.

Bildungssprache hat eine entscheidende Rolle für den Schulerfolg. Sie wird gebraucht, um schulische Inhalte zu vermitteln. Gleichzeitig wird von Schülerinnen und Schülern erwartet, dass sie der Bildungssprache mächtig sind und diese verwenden können. Die Ergebnisse der PISA-Studie und anderer Studien verdeutlichen jedoch die Problematik, die dahintersteht. Es zeigte sich, dass Kinder mit Migrationshintergrund erheblich geringere Bildungschancen als Kinder ohne Migrationshintergrund haben (Tajmel 2017). Ähnliches gilt für Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Familien. Das kann damit zusammenhängen, dass diese Kinder die (deutsche) Bildungssprache nicht beherrschen. Im Unterricht sollte sie deshalb explizit vermittelt und thematisiert werden.

Fachsprache

Fachsprache geht, ähnlich wie Bildungssprache, über den alltäglichen Sprachgebrauch hinaus. In Abgrenzung zur Bildungssprache ist sie jedoch an einen spezifischen Fachbereich gebunden (siehe zum Beispiel Michalak et. al. 2016). Beispielsweise hat der Fachbereich der Physik eine eigene Fachsprache, genauso wie der der Linguistik.

Die Eigenschaften der jeweiligen Fachsprache ergeben sich aus den Inhalten, mit denen sich der Fachbereich beschäftigt. So zeichnet sich die Fachsprache der Biologie beispielsweise durch einen häufigen Passivgebrauch aus. Das hängt damit zusammen, dass viele Vorgänge, die in der Biologie beschrieben werden müssen, nicht aktiv gesteuert werden (Beispiel: „Das ATP wird zu den Muskelzellen transportiert“).

Fachsprache wird gebraucht, um sich über Inhalte im fachlichen Kontext auszutauschen und sie verstehen zu können. Aus diesem Grund hat auch sie eine essentielle Funktion für den Schulunterricht. Damit alle Schülerinnen und Schüler gleichsam die Möglichkeit haben sie zu erlernen, bietet sich ein sprachsensibler Fachunterricht an.

Sprachsensibler Fachunterricht

Im sprachsensiblen Fachunterricht wird Sprache nicht nur als Arbeitswerkzeug verstanden, sondern als Voraussetzung für das Verstehen fachlicher Inhalte. Aus diesem Grund gehen darin sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden bewusst mit Sprache um (siehe zum Beispiel Leisen 2013).

Scaffolding

Scaffolding ist das englische Wort für „Baugerüst“. Der Begriff wurde metaphorisch auf den Schulunterricht übertragen. Er steht dafür, dass Schülerinnen und Schüler sowohl auf fachlicher als auch auf sprachlicher Ebene unterstützt werden. Die Hilfestellungen werden jedoch, ähnlich wie ein Baugerüst, nach und nach wieder reduziert (siehe zum Beispiel Gibbons 2015).

Tipps für den Unterricht

Lernstandsanalyse

Damit die Schülerinnen und Schüler im Unterricht angemessen sprachlich unterstützt werden können, muss zunächst ihr Lernstand ermittelt werden. Dafür können zum Beispiel die Profilanalyse nach Wilhelm Grießhaber oder ein C-Test genutzt werden (Heilmann & Grießhaber 2012; Grotjahn 2004). Auch der Freiburger Sprachtest, den man auf unserer Seite kostenlos erhalten kann, dient der Lernstandsanalyse.

Sprachsensible Unterrichtsplanung

Bei der Unterrichtsplanung sollte neben der fachlichen Ebene auch immer die sprachliche Ebene miteinbezogen werden. Tanja Tajmel schlägt dafür die Nutzung eines Planungsrahmens vor, in dem die erwarteten sprachlichen Tätigkeiten, aufgeteilt auf das Hören, Sprechen, Schreiben und Lesen, vorab festgehalten werden. Außerdem können darin typische Satzstrukturen und Schlüsselwörter, die für das Thema relevant sind, gesammelt werden (Tajmel und Hägi-Mead 2017).
Im Anhang ist ein beispielhafter Planungsrahmen für den Sachunterricht zu dem Thema Elektrizität zu finden.

Tabelle 1: Planungsrahmen zur sprachbewussten Unterrichtsplanung (Tajmel & Hägi-Mead 2017, S. 74)

ThemaAktivitäten und SprachhandlungenSprachstrukturenVokabular
Allgemein
Hören
Sprechen
Lesen
Schreiben

Kontakt der Schülerinnen und Schüler mit Bildungs- und Fachsprache im Unterricht

Um den Lernenden Bildungs- und Fachsprache näherzubringen, ist ein häufiger und vielseitiger Kontakt mit dieser unabdingbar.

Dieser kann einerseits erreicht werden, indem die Lehrperson selbst häufig Bildungs- und Fachsprache nutzt. Gibbons (2015) weist darauf hin, dass durch die sogenannte message abundancy (Überfluss an Nachrichten) auch komplexe Sachverhalte vermittelt werden können, indem die Lehrkraft verschiedene Kanäle für ihre Erläuterungen nutzt. Andererseits sollten bildungs- und fachsprachliche Phänomene aber auch explizit im Unterricht thematisiert werden. Dies sollte jedoch abhängig von dem eigentlichen fachlichen Inhalt erfolgen, was die Situation auch besonders fruchtbar für das Sprachenlernen macht. So können zum Beispiel beim Schreiben von Versuchsbeschreibungen im Sachunterricht verschiedene Temporaladverbien (z.B. Dann, Nachdem, Anschließend) gesammelt und geübt werden. Indem die Lernenden die Adverbien im nächsten Schritt selber in einer konkreten und authentischen sprachlichen Situation nutzen, lernen und reflektieren sie auch den Gebrauch der Wörter.

Zudem ist ein hoher Redeanteil der Schülerinnen und Schüler von Vorteil. Denn durch die Sprachproduktion können Hypothesen über die Sprache überprüft werden, außerdem erhält man in der sprachlichen Interaktion Feedback. Ein hoher Redeanteil kann zum Beispiel durch kooperative Lernformen wie Gruppenarbeiten erreicht werden. Außerdem können Aufgaben mit einer Informationslücke genutzt werden, d.h., dass nicht alle Lernenden die gleiche Aufgabe bearbeiten, sondern unterschiedliche Aufträge haben. Dadurch wissen die jeweiligen Gruppen nicht, was die anderen erarbeitet haben und eine Informationslücke liegt vor. Informationslücken können auch durch andere Aufgabenstellungen erreicht werden. Es können zum Beispiel zwei Bilder eingesetzt werden, die sich minimal unterscheiden. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich diese dann gegenseitig beschreiben, um die Unterschiede zu finden (weitere Beispiele: Gibbons 2015).

Auch in der alltäglichen Unterrichtsinteraktion mit den Schülerinnen und Schülern kann sprachsensibel vorgegangen werden. Pauline Gibbons schlägt vor, dass den Lernenden mehr Zeit gewährleistet wird, damit sie über ihre Antwort auf Fragen nachdenken und sie umformulieren können (Gibbons 2015). Außerdem kann die Lehrperson mehr Begründungen und Erklärungen einfordern, statt einfache Informationen abzufragen. Alltagssprachliche Äußerungen der Lernenden können ferner durch die Lehrperson aufgegriffen und bildungssprachlich umformuliert werden.

Bei allen vorgeschlagenen Elementen gilt, dass die Kinder sich von der Alltagssprache zur Bildungssprache bewegen.

Quellen

Grotjahn, Ruediger (2004): Der C-Test: Aktuelle Entwicklungen. In: Armin Wolff, Torsten Ostermann und Christoph Chlosta (Hg.): Integration durch Sprache. [Beiträge der 31. Jahrestagung DaF 2003]. 1. Aufl. Regensburg: Fachverband Deutsch als Fremdsprache (Materialien Deutsch als Fremdsprache, 73), S. 535–550.

Habermas, Jürgen (1981): Kleine politische Schriften. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp).

Heilmann, Beatrix; Grießhaber, Wilhelm (2012): Diagnostik & Förderung - leicht gemacht. [das Praxishandbuch]. 1. Aufl. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen (Deutsch als Zweitsprache in der Grundschule).

Leisen, Josef (2013): Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis: Grundlagenwissen, Anregungen und Beispiele für die Unterstützung von sprachschwachen Lernern und Lernern mit Zuwanderungsgeschichte beim Sprechen, Lesen, Schreiben und Üben im Fach. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen.

Michalak, Magdalena; Lemke, Valerie; Goeke, Marius (2016): Sprache im Fachunterricht. Eine Einführung in den sprachsensiblen Unterricht. 1. Aufl. Tübingen: Narr Francke Attempto (Narr-Studienbücher).

Tajmel, Tanja; Hägi-Mead, Sara (2017): Sprachbewusste Unterrichtsplanung. Prinzipien, Methoden und Beispiele für die Umsetzung. 1. Aufl. Münster, New York: Waxmann (FörMig Material, Band 9).

Tajmel, Tanja (2017): Naturwissenschaftliche Bildung in der Migrationsgesellschaft. Grundzüge einer Reflexiven Physikdidaktik und kritisch-sprachbewussten Praxis. 1. Aufl. Wiesbaden.: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Anhang

Die folgende Übersicht stammt aus der wissenschaftlichen Hausarbeit von Mira Werner mit dem Titel „Sprachsensibler Fachunterricht unter besonderer Berücksichtigung des Scaffoldingansatzes in Schreibprozessen“. Die Arbeit wurde an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg als Teil des Studiums erstellt.

ThemaAktivitäten und Sprachhandlungen SprachstrukturenVokabular
Elektrizität Versuche Versuchs-protokolle Sprechen- SuS diskutieren in Gruppen über die durchgeführten Versuche begründen, nachfragen, argumentieren, kommunizieren  - SuS präsentieren ihre Ergebnissevortragen, begründen     Ich denke, dass…Ich vermute, dass…Ich denke das, weil…Das passiert, weil…Ich habe herausgefunden, dass…Fragen mit Fragewörtern (wie, weshalb, warum, was)   Wir haben beobachtet, dass…Als Erstes, am Anfang, danach, dann, anschließend, nachdem, zum Schluss…wenn…, dann…  ReibungStromkreis, anziehen, abstoßen, fließen, Leiter, Reibung, Elektronen, Protonen, geladen, reiben, laden, aufgeladen, Ladung     StromerzeugungStromkreis, anziehen, abstoßen, fließen, Elektronen, Protonen, Kupfer, Zink, rauschen, verbinden, erzeugen, Verbindung,              Temporaladverbien
(Zuerst, danach, usw.) Verben der Durchführung(z.B. nehmen, legen, usw.)           Fachbegriffe, die zur Beschreibung des Versuchs gebraucht werden 
Schreiben- SuS schreiben Versuchsprotokolle beschreiben, erklären, fragen, auflisten  Forschungsfrage: Inversion bei Fragen, Fragewörter Hypothese: Ich-Form, Konsekutivsatz mit dass Materialien: Aufzählung ohne ArtikelKommata zwischen den Aufzählungssegmenten Durchführung:Veränderung der Satzstruktur durch Temporaladverbien
(Verbzweitstellung à Inversion) Beobachtung:Konsekutivsätze mit „dass“Konjunktionen und Nebensätze der Zeit Deutung:KausalkonjunktionenNominalisierungenNebensatzkonstruktionen Im ganzen Protokoll:PräsensPassiv oder man-Form (außer in der Hypothese) 
Hören-Die SuS filtern die gesuchten Informationen aus einem Video zu Elektrizität Selektives Hören Nominalisierungen Attribute Passivkonstruktionen (Beispiel: Die Elektronen werden zur Lampe geleitet)Leiter, Elektronen, Protonen, Isolatoren
Lesen-Die SuS lesen die Aufgabenstellungen und verstehen, was sie zu tun haben Sinnentnehmendes LesenVerberststellungenOperatoren:schreibe, nenne, finde, erkläre