Dr. Hanna Sauerborn
Adolf-Reichwein Bildungshaus und PH Freiburg
Freiburg 2019
GRENZEN DES LAUTGETREUEN SCHREIBENS
In unserem Beitrag zu den Grenzen des lautgetreuen Schreibens wurde bereits deutlich, dass es kein eindeutiges Buchstaben-Laut-Verhältnis im Deutschen gibt. Im Beitrag zu den Herausforderungen der deutschen Schrift beim Lesen wurde deutlich, dass es im Deutschen unterschiedliche Silbentypen gibt.
SILBEN MIT OFFENER BETONTER SILBE
Die Silben mit einer offenen betonten Silbe sind für Kinder am leichtesten zu lesen und auch zu schreiben. Ein Unterricht, in dem Kinder die Systematik der Schrift entdecken sollen, bildet diese Silbe einen ersten Ansatzpunkt.
UNBETONTE ZWEITE SILBE
Die unbetonte zweite Silbe wird jedoch von Anfang an auch thematisiert, denn nur so können die Kinder ein Gespür für die typische Silbenstruktur des Deutschen entwickeln.
VISUALISIERUNGEN NUTZEN
Röber (2009) nutzt zur Visualisierung des Silbenstrukturmusters Häuschen, bzw. einen Zirkuswagen (Zirkus Palope). Ich verwende in meinem Unterricht in Anlehnung an Röber Wörterburgen.
Die Burg repräsentiert ein Wort mit zwei Silben, von denen die erste Silbe betont ist und die zweite Silbe unbetont ist. Deswegen ist das erste Teil der Burg größer als das zweite Teil.
Jede Silbe hat einen obligatorischen Silbenkern, der in der Burg durch das Tor visualisiert wird. Je nachdem, ob man ein Wort mit einem Lang- oder Kurzvokal (bzw. offen oder geschlossen) schreibt, wird das erste Burgtor blau (langer Vokal) oder rot (kurzer Vokal) gerahmt. Im Tor ist der erste Buchstabe immer ein Vokal.
Auch die Morphemgrenze wird bei den Burgen dargestellt: das Seil im kleineren Burgteil zeigt, wo das Morphem ändert. Dies wird allerdings bei mir erst in der zweiten Klasse behandelt.
PROTOTYPISCHE WÖRTER VERINNERLICHEN
Am Anfang nutze ich nur Wörter, die in Burgen mit dem blauen Tor stehen können. Die Kinder lernen, dass im blauen Tor immer nur Vokale stehen. Viele Vokale sind alleine, aber das i steht immer mit dem Buchstaben e, sie bilden <ie>.
Im Zusammenhang mit Wörtern mit dieser Silbenstruktur wird nach einer gewissen Zeit die Unterscheidung von <s>, <ß> und <z> vorgenommen (wie von Röber im Zirkus Palope entwickelt).
Ich verwende zur Unterscheidung der drei Buchstaben drei Tiere:
Das Bienen-s klingt wie eine Biene.
Aber Achtung! Das gilt nur bei Wörtern mit blauem Tor! Bei Wörtern mit rotem Tor, kann wird das s ganz anders artikuliert.
Das Schlangen-ß klingt wie eine Schlange.
Schließlich gibt es noch die Zebra-Schlange für den Buchstaben z.
Ein Arbeitsblatt zur Unterscheidung von s, ß und z findet man hier: s ß z
Die Kinder schreiben jeweils nur den richtigen Buchstaben zum Bild. Denken Sie daran, dass für manche Kinder die Begriffe unklar sind und zunächst besprochen werden müssen.
WÖRTER ZWEISILBIG MACHEN UND ZURÜCK
Manche Wörter treten zunächst einsilbig auf und passen dann nicht in das Burgen-Muster. Machen Sie das Wort zweisilbig, wenn es geht. Das hilft ohnehin, um richtig zu schreiben, wie z.B. bei Tor, Hund, Hand usw. Aber auch der Weg andersherum hilft, die richtige Schreibung herauszufinden, dies gilt bei der Umlautschreibung wie bei Hände, Bäume usw.
Ich verwende als "Zeichen" für die Verlängerung und Ableitung immer die Bezeichnung "Eins-Zwei-Trick".
ZWEITE SILBE - DIE RICHTIGE ENDUNG
Zunächst schreiben die Kinder vor allem Wörter, die im zweiten Tor nur den Buchstaben <e> haben. Nach und nach kommen weitere Endungen dazu. Die Kinder lernen, dass im zweiten Tor immer ein <e> steht. Dadurch fällt es ihnen leichter, Wörter mit <er> am Ende von Anfang an richtig zu schreiben.
Hier finden Sie zahlreiche Wörter, die zum blauen Wörterburgen-Muster passen.
ROTE WÖRTERBURGEN
Wenn die Kinder sicher Wörter mit dem blauen Wörterburgen-Muster schreiben, werden die roten Wörterburgen eingeführt. Bei diesen Wörtern klingt der Vokal im roten Tor ganz anders als im blauen Tor. Thematisieren Sie dies und weisen Sie die Kinder explizit darauf hin, dass uns die Vokale im roten Tor manchmal "veräppeln" und ganz anders geschrieben werden, als wir am Anfang glauben. Wichtig ist außerdem, dass in einem roten Tor der Vokal nie alleine stehen darf.
Ich thematisiere mit den Kindern bald, ob ein Wort ein rotes oder blaues Tor an. Dabei kontrastiere ich das Wort ggf. Die Unterscheidung von rotem und blauem Tor ist jedoch anspruchsvoll und nur mit viel Übung gewinnen die Kinder nach und nach mehr Sicherheit.
Hier finden Sie zahlreiche Wörter, die zu dem blauen und roten Wörterburgen-Muster passen.
SCHÄRFUNGSSCHREIBUNG - KONSONANTENVERDOPPLUNG
Wenn die Kinder immer sicherer werden beim Schreiben von den bisher behandelten Wörtern, präsentiere ich ihnen irgendwann Wörter mit Schärfungsschreibung. Dabei überlegen wir zunächst, ob das Wort in eine Burg mit rotem oder blauem Tor kommt. Wenn die Kinder dann sagen, dass es sich um ein rotes Tor handle, schreiben wir das Wort (zunächst falsch) auf, z.B. Schi-fe. Dann frage ich die Kinder: Aber hier ist doch ein rotes Tor. Warum ist denn das <i> alleine? Dabei kommen wir darauf, dass man bei diesen Wörtern den ersten Buchstabe der zweiten Silbe noch ins Tor schreiben muss. So lernen die Kinder bereits am Ende der ersten Klasse das grundlegende Prinzip der Konsonantenverdopplung kennen, welches dann in der zweiten Klasse gefestigt wird.
Hier finden Sie zahlreiche Wörter, die zu dem blauen und roten Wörterburgen-Muster passen und auch Wörter mit Schärfungsschreibung beinhalten.
TEXTE ÜBERARBEITEN MIT DEN WÖRTERBURGEN+
Schreiben die Kinder in eigenen Texten Wörter falsch, die man anhand der Wörterburgen erklären kann, greifen wir auf die Visualisierung zurück und überlegen, warum man das Wort anders schreiben muss, als vom Kind geschrieben. Der Kindertext zeigt dies, bei dem der Text mit dem iPad fotografiert wurde und anschließend in der digitalen Version die zu besprechenden Wörter markiert wurden.
Mit Hilfe der Wörterburgen können dann die Wörter richtig aufgeschrieben werden.
NACHDENKEN ÜBER SCHRIFT
Die Wörterburgen ermöglichen den Kindern, über Schrift nachzudenken. Sie geben ihnen Begriffe, Schreibungen zu begründen bzw. herzuleiten. Die Kinder lernen von Anfang an, dass es eine richtige Schreibung gibt, die man sich in vielen Fällen sogar systematisch erklären kann. Der bewusste Umgang mit Schrift begünstigt auch beim Verfassen eigener Texte eine Haltung, über Wörter nachzudenken bzw. zu fragen oder nachzuschlagen, wie man ein Wort schreibt, das man selber noch nicht schreiben kann. Dabei entstehen beachtliche Texte, die zeigen, dass Kinder auch ohne Drill deutlich früher richtig schreiben können, als Modelle der Rechtschreibentwicklung suggerieren.
Literatur
Die meisten der hier dargestellten Überlegungen bauen auf den Erkenntnissen und Arbeiten von Christa Röber auf und wurden von der Autorin für ihren eigenen Unterricht angepasst und teilweise leicht verändert. Frau Röber stellt kostenlos ein umfassendes Unterrichtsmaterial auf der Internetseite vom Zirkus Palope zur Verfügung. Sie finden diese Materialien unter: zirkus-palope.de
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