Einige Herausforderungen beim Lesen deutscher Wörter

Dr. Hanna Sauerborn

Pädagogische Hochschule Freiburg, Adolf-Reichwein Bildungshaus

Freiburg 2019

Worum geht es?

Manche Kinder kommen bereits lesend in die Schule, andere Kinder lernen das Lesen scheinbar mühelos und ohne zusätzliche Anstrengungen der Lehrkraft. Wieder andere Kinder scheinen auch nach einem halben Jahr in der Schule noch nicht basale Grundfertigkeiten im Lesen erworben zu haben, wie z.B. das Prinzip der Synthese. In diesem Text soll es vor allem um die Kinder gehen, die das Lesen nur mit großen Schwierigkeiten erwerben.

KENNTNIS DES LERNSTANDS BEIM LESEN VON GROSSER BEDEUTUN

Gerade in der ersten Klasse wiederholen Lehrkräfte vor Kindern und Eltern immer und immer wieder, dass die 1. Klässlerinnen und 1. Klässler jeden Tag zu Hause lesen üben sollten und diese tägliche Wiederholung eine Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Leseerwerb sei. Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite bezieht sich darauf, dass Lehrkräfte besonders in der ersten Klasse jedem Kind ein passendes Lernangebot zum Lesen in der Schule und zu Hause machen müssen, damit jedes Kind sich gemäß seines Lernstands im Lesen weiterentwickeln kann, dies gilt in besonderem Maße für Kinder mit erschwertem Leseerwerb. Denn ist ein Kind mit einer Leseaufgabe überfordert, wird es in der Regel damit nicht Lesen üben, wodurch sich kaum ein Lernfortschritt einstellen kann – und auch die Eltern können dem Kind dann nur bedingt helfen, weil schnell Frust aufkommt und somit jedes weitere Lernen blockiert wird.

Damit Sie Ihren Schülerinnen und Schülern ein passendes Lernangebot machen können, müssen Sie den Lernstand des Kindes beim Lesen beurteilen. Dazu können die Meilensteine des Lesens, welche ich in einem gesonderten Text beschreibe, Unterstützung bieten.

WARUM IST ORTHOGRAPHIE DES DEUTSCHEN DAFÜR WICHTIG?

Um die Leistungen der Kinder beim Lesen- und Schreibenlernen besser beurteilen zu können, ist es wichtig, grundlegende Eigenschaften der deutschen Orthographie zu kennen und im Hinblick auf ihre Komplexität für den Schrifterwerb bzw. in diesem Fall für das Lesen einordnen zu können. Daher wird im Folgenden zunächst die deutsche Orthographie skizziert, was jedoch, wie bereits gesagt, nur Ausschnitte abdecken kann.

Die deutsche Orthographie

Um die deutsche Orthographie zu beschreiben, kann man sich des Konstrukts der orthographischen Prinzipienbedienen. Es gibt nicht nur eine Beschreibung der orthographischen Prinzipien, vielmehr können diese sich sogar unterscheiden. Ich orientiere mich in diesem Text an vier Prinzipien:

  • das phonographische Prinzip
  • das silbische Prinzip
  • das morphologische Prinzip
  • das syntaktische Prinzip

DAS PHONOGRAPHISCHE PRINZIP UND DER MYTHOS DER LAUTTREUE

Ohne Zweifel stehen Laute und Buchstaben (bzw. Phoneme und Graphem) in der deutschen Orthographie in einer nicht willkürlichen Beziehung zueinander, d.h., das <a> wird in keinem Wort als /p/ gelesen und das <k> in keinem Wort als /o/. Allerdings ist es ein Irrtum anzunehmen, dass die Beziehungen von Phonemen und Graphemen eindeutig sei – denn in vielen Fällen gibt es verschiedene Möglichkeiten an Phonem-Graphem-Beziehungen. Dies gilt sowohl für das Verhältnis von Phonemen und zu Graphem (für einen Laut kann es verschiedene Buchstaben geben, z.B. /ks/: tags, Klecks, wachsen, Hexe, Keks), ebenso kann es für ein Graphem verschiedene Phoneme geben (für einen Buchstaben/eine Buchstabengruppe verschiedene Laute, wie z.B. <ch> in lachenund Bücheroder <r> in Rose, Ohr, Vater). Welchen Lautwert ein Buchstabe im Wort hat, hängt vor allem mit seiner Position in der Silbe zusammen (Röber 2001).

Obwohl die Beziehungen von Phonemen zu Graphem nicht eindeutig sind, bringen wir dennoch den Kindern in der Schule im Anfangsunterricht bei, dass ein Buchstabe einem Laut entspricht. Hierbei beziehen wir uns i.d.R. auf den Anlaut. Dies können Sie bei der Einführung von Buchstaben beobachten, bei der häufig ein Buchstabe mit Anlautbildern eingeführt wird und dann auch der Buchstabe mit dem Anlautnamen bezeichnet wird (z.B. <r> --> /ʁ/).

Die ersten Wörter, die die Kinder lesen sollen, werden meistens nach einer vermeintlichen Lauttreue ausgesucht. Diese Wörter sollen durch die Kinder gelesen werden, indem die Buchstaben in Laute transformiert werden und dann die Laute zu einer Lautkette verbunden werden, welche im Idealfall nah am gesuchten Wort dran ist. Diesen Prozess kann man als Synthese bezeichnen.

Bei (sehr wenigen) ausgewählten Wörter, wie z.B. den hier genannten Wörtern Jo-Jo, Kiwi, Lamaoder Mofa, kommen Kinder beim Lesen mit der Anwendung des Beigebrachten auch zu einer adäquaten Lösung. Diese Wörter sind jedoch nicht protoypisch für den Silbenaufbau deutscher Wörter. Wenn Kinder die gelernte Strategie (Transformation von Buchstaben in seinen Anlaut, Synthese dieser Lauten) beim Lesen prototypischer Wörter anwenden, kommen sie hier bald an ihre Grenzen, wie man an den Beispielwörtern Hase, Hundeoder Ratte sehen kann.

Die Wörter, die bei diesem synthetisierenden Lesen entstehen, sind Kunstwörter, denn wir sprechen die Wörter anders aus, als Erstlesende sie lesen. Kinder müssen folglich beim so vermittelten Lesen den Zusammenhang zwischen dem von ihnen gelesenen Kunstwort und dem intendierten Wort herstellen. Erst wenn dies geleistet wurde, kann das Wort verstehend gelesen werden.

Geschriebenes WortIntendiertes WortMögliches Kunstwort
Hase[ˈhaːzə][ˈhaːzeː]
Hunde[ˈhʊndə][ˈhuːndeː]
Ratte[ˈʁatə][ˈʁaːteː]
Roller[ˈʁɔlɐ][ˈʁoːleːʁ]

Besonders bei Wörtern wie Roller fällt es Erstlesern schwer, das intendierte Wort zu erraten, was nicht verwunderlich ist, da die sich lautliche Gestalt von intendiertem Wort und Kunstwort stark unterscheidet (vgl. [ˈʁɔlɐ] vs. ˈʁoːleːʁ]).

Letztlich führt der gewählte Weg der Schriftvermittlung die deutsche Schrift ad absurdum, denn die deutsche Schrift ist eine Leserschrift. Entsprechend verrät sie uns, wie Wörter richtig gelesen werden sollen, indem sie bestimmte Strukturen repräsentiert, die wir beim Lesen automatisch entziffern können. So ermöglicht die Schrift uns einen schnellen Zugriff auf die Wörter. Das können Sie selber ausprobieren, wenn Sie Wörter, die es nicht gibt, aber eine für Sie vertraute Struktur repräsentieren, lesen:

frosel                          topte                           diffen                          gühnle

Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben Sie beim ersten und letzten Wort den Vokal in der ersten Silbe lang artikuliert, hingegen bei den beiden mittleren Wörtern kurz. Ebenso werden Sie das <e> in der zweiten Silbe jeweils unbetont und kurz gelesen haben. Viele der in Wörtern enthaltenen Strukturen, die Sie automatisch erkannt haben, hängen mit dem silbischen Prinzip zusammen das ich nachfolgend kurz erläutern möchte.

DAS SILBISCHE PRINZIP

Das silbische Prinzip beschreibt all die Phänomene der deutschen Schrift, die mit der Silbenstruktur der Wörter zu tun haben. An dieser Stelle sollen einige Phänomene herausgegriffen und kurz erläutert werden.

  1. Die typische Wortgestalt des prototypischen deutschen Wortes sind trochäische Zweisilber, bei denen die erste Silbe betont und die zweite Silbe unbetont ist. Die zweite Silbe wird auch als Reduktionssilbe bezeichnet, in der bei den prototypischen Wörter im Geschriebenen immer ein <e> vorkommt.
  2. In jeder Silbe ist der Silbenkern vokalisch und obligatorisch.
  3. Die geschriebene Silbe strebt nach Ausgeglichenheit, weswegen z.B. das Wort [ʃtʁoːm] (Strom) nicht als *Schtrom verschriftet wird.
  4. Wir können protypische Wörter drei Silbenstrukturmustern zuordnen (man kann auch eine weiter differenzierende Zuordnung vornehmen, von der ich Ausschnitte im Anschluss kurz beschreibe).

Drei Silbenstrukturmuster von prototypischen Wörtern

Die drei Silbenstrukturmuster unterscheiden sich in der ersten Silbe, hierbei gehen ich vom Gesprochenen aus, wobei sich dies auch auf das Geschriebene übertragen lässt.

Um die Struktur der Wörter einfacher beschreiben zu können, bediene ich mich dreier Tiernamen:

Bei den Hasen-Wörtern ist der Vokal in der ersten Silbe lang (gespannt) und die erste Silbe ist offen, d.h., dass auf den Vokal kein weiterer Konsonant folgt. Das /i:/ (langes i) wird bei Hasen-Wörtern bis auf ganz wenige Ausnahmen (wie Tiger oder Biber) mit <ie> verschriftet.

Bei den Hunde-Wörtern ist der Vokal in der ersten Silbe kurz (ungespannt) und die erste Silbe ist geschlossen, d.h., dass auf den Vokal in der ersten Silbe ein Konsonant folgt.

Bei den Ratten-Wörtern ist der Vokal in der ersten Silbe kurz (ungespannt) und im Gesprochenen ist die Silbe offen[1]

Man könnte noch weitere Unterscheidungen vornehmen, z.B.

Hühnchen-Wörter haben in der ersten Silbe einen langen (gespannten Vokal), die Silbe ist allerdings geschlossen. Mit diesen Wörtern kann das Dehnungs-h erklärt werden. Allerdings gibt es hierzu keine 100% Regel, zudem betrifft es verhältnismäßig wenige Wörter aus dem GS-Grundwortschatz. Eine Regularität beschreibt, dass das Dehnungs-h nur vor <l>, <m>, <n> oder <r> vorkommen kann.

Rehe-Wörter wiederum können zur Erklärung der Schreibung von Wörtern mit silbentrennendem-h herangezogen werden. Sie sind in ihrer Silbenstruktur wie die Hasen-Wörter, es kann jedoch aus morphologischer Sicht sinnvoll sein, diese Wörter separat zu behandeln.[2]

Das Lesen prototypischer Wörter beim Leseerwerb

Aus der Perspektive eines Kindes, das gerade lesen lernt, sind die Hasen-Wörtern am einfachsten zu lesen. In der offenen Silbe wird der Vokal lang gesprochen. Zudem können die ersten Silben der Hasen-Wörter am ehesten nach dem oben beschriebenen Prinzip des synthetisierenden Lesens gelesen werden. Wörter mit einem ungespannten (kurzen) Vokal wie Hunde- und Rattenwörter sind deutlich anspruchsvoller zu lesen.

Ein wichtiger Aspekt beim Lesen, der sich aus dem silbischen Prinzip ergibt, ist die Betontheit der ersten Silbe bzw. die Unbetontheit der zweiten Silbe. Die zweiten Silben werden viel „leichter“ (im Sinne von weniger betont) gelesen. Sobald Erstleser dies begriffen haben, ist das Lesen von trochäischen Wörtern deutlich einfacher.

DAS MORPHOLOGISCHE PRINZIP

Das morphologische Prinzip bezieht sich auf die starke Tendenz der geschriebenen Sprache, Gleiches gleich zu lassen. Während in der gesprochenen Sprache Verwandtschaften von Wörtern manchmal kaum wahrnehmbar sind, sind sie im Geschriebenen eindeutig zu erkennen:

 [ʃtʁaʊ̯s]                       [ˈʃtʁɔɪ̯sə]

Strauß                         Sträuße

Ableitungen

Bei dem zuletzt angeführten Beispiel Sträußehandelt es sich um eine Ableitung, die sich auf folgende Phänomene bezieht:

  • „Für langes [eː] und langes [ɛː], die in der Aussprache oft nicht unterschieden werden, schreibt man ä, sofern es eine Grundform mit agibt, zum Beispiel: quälen (wegen Qual). Wörter wie sägen, Ähre (aber Ehre), Bär sind Ausnahmen.”[3]

Ein weiterer Aspekt, den man mit dem morphologischen Prinzip erklären kann, ist die Auslautverhärtung.

Auslautverhärtung

Das morphologische Prinzip wirkt auch bei der sogenannten Auslautverhärtung, bei der im Geschriebenen bei Wörtern der Wortstamm möglichst erhalten bleibt.

Herd – Herde                                                 Heft – Hefte

Zwerg – Zwerge                                             Schrank - Schränke

Bub – Buben                                                  Typ – Typen

Im Gesprochenen ist der Endlaut in beiden Fällen im Singular stimmlos (Herd/Heft; Zwerg/Schrank; Bub/Typ). Im Geschriebenen werden aber die stimmhafte und stimmlose Variante gleich verschriftet (<d>, <g> bzw. <b>).

DAS SYNTAKTISCHE  PRINZIP

Das syntaktische Prinzip ist ein wortübergreifendes Prinzip. Hierbei geht es um die Großschreibung am Satzanfang, die satzinterne Großschreibung sowie die Zeichensetzung. An dieser Stelle möchte ich nicht näher darauf eingehen, allerdings kurz darauf hinweisen, dass schon beim ersten Lesen von Sätzen thematisiert werden kann, dass die Stimme sich bei den Satzschlusszeichen ändert und z.B. beim Punkt runter geht.

DIE DEUTSCHE SCHRIFT – EINE LESERSCHRIFT

All die genannten Prinzipien tragen dazu bei, das Lesen von deutschen Wörtern bzw. Texten zu erleichtern. Erstleserinnen und Erstlesern sollte folglich geholfen werden, die Systematik der Schrift nach und nach zu durchdringen, um selbst Schrift möglichst ohne zusätzliche Hürden zu dechiffrieren.

Herausforderungen beim Lesen deutscher Wörter

Aus den Darlegungen wurde deutlich, dass die Schrift nicht nur auf dem Lautprinzip beruht, sondern dieses vielmehr nur einen (verhältnismäßig kleinen) Anteil an Schreibungen erklärt. Daher führt das buchstabenweise synthetisierende Erlesen von Wörtern bei vielen prototypisch deutschen Wörtern zu Kunstwörtern, die vor allem von Leseanfängerinnen und -anfängern, aber auch von Kindern mit Schwierigkeiten im Lesen, nicht ohne Schwierigkeiten entschlüsselt werden können. Folglich bedarf es eines Leseunterrichts, bei dem die Kinder von Anfang Einsichten in die Systematik der Schrift entwickeln können.

Alternative Vermittlungsformen zum Lesen?

In ihrem Lehrwerk Zirkus Palope geht Röber vollständig weg vom synthetisierenden Lesen, der Leseerwerb am Anfang erfolgt eher analytisch, also von der gesamten Silbe ausgehen. In meinem Beitrag spreche ich mich für ein Vorgehen aus, bei dem das synthetisierende Lesen nur auf Silbenebene erfolgt und Kinder dabei von Anfang an Hinweise bekommen, wie die Silben gelesen werden müssen. Zudem lernen die Kinder von Anfang an verschiedene Phoneme zu einem Buchstaben/Graphem kennen, wie z.B. zum <r>. Durch zahlreiche Übungen zur Automatisierung des Silbenlesens erhalten die Kinder ein Handwerkszeug für das Lesen von Wörtern, dennoch ist auch dieses Vorgehen mit Hürden verbunden, welche ich nachfolgend mit Bezug auf die bereits dargestellten Besonderheiten der deutschen Orthographie beschreiben möchte.

Das von mir zu skizzierende Vorgehen (im Text: Meilensteine des Lesens) hat sich in den Klassen bewährt, in denen ich im Anfangsunterricht Deutsch unterrichtet habe. Ich möchte allerdings nicht beanspruchen, dass dies der einzige Weg ist.

Bevor ich auf die Hürden beim Lesen von Wörtern mit einer bestimmten Wortstruktur eingehe, möchte ich einen kleinen Exkurs in die Phonologie vornehmen, um gerade im Hinblick auf die allerersten Schritte beim Lesen auf mögliche Herausforderungen bei bestimmten Buchstaben bzw. Lauten hinzuweisen. Dafür ist die Unterscheidung von Sonoranten und Obstruenten wichtig.

SONORANTE LAUTE

Ein Sonorant ist ein Laut, der akustisch wie ein Klang wahrgenommen werden kann, er ist immer stimmhaft. Hierbei kann es sich um einen Vokal oder einen Konsonanten handeln. Beim ersten Lesen von Leseanfängern können zwei Sonoranten, von denen einer ein Vokal ist, zusammen i.d.R. leichter gelesen werden als z.B. ein Obstruent (das sind die nicht sonoranten Laute, s.u.) und ein Vokal bzw. Dies gilt zumindest dann, wenn die Kinder das Lesen synthetisierend lernen (s.o.).

Welche Sonoranten gibt es im Deutschen?

Nachfolgend finden Sie eine Liste mit vielen Sonoranten des Deutschen, jeweils mit einem Beispielwort. Die Beispielwörter beziehen sich bis auf Ausnahmen auf den Anlaut. Der dazugehörige notierte Buchstabe wird in einer anderen Position im Wort aber u.U. in einen anderen Laut transformiert, was in der Spalte ganz rechts beispielhaft aufgeführt wird.

Laut mit Beispiel (i.d.R. Anlaut als Beispiel)Korrespon-dierender Buchstabe zu BeispielOrthographische Schreibung Beispiel, ggf. AlternativeAlternatives Auftreten des Buchstabens
/a/[ˈaːdlɐ]aAdlerApfel
/e/[ˈeːzl̩]eEselEnte, Bruder, tragen
/i/[ˈiːɡl̩]iIgelBieneIndianer
/o/[ˈoːma]oOmaTopf
/u/[uːɐ̯]uUhrHund
/ɛ/[ˈɛp͡fl̩]äÄpfelEnteÄhre
/y/[yːbɐˈʁaʃʊŋ]üÜberraschungHütte
/ø/[øːl]öÖlschöpfen
/aɪ̯/[ˈaɪ̯əʁ]eiEier
/ɔɪ̯/[ˈɔɪ̯səʁə] äuäußere
[ˈɔɪ̯lə]EuEule
/m/[maʊ̯s]mMaus
/n/[ˈnaːzə]nNase
/l/[ˈluːpə]lLupe
/ˈʁ/[ˈʁiːzə]rRieseVater, Ohr
/ŋ/[ˈt͡sʊŋə]ng

Im Hinblick auf die Leseförderung fasse ich mit den Sonornaten noch einige weitere Laute, die allerdings Obstruenten sind, in einer Gruppe zusammen. Dies erläutere ich am Ende des nächsten Abschnitts.

OBSTRUENTEN - NICHT SONORANTE LAUTE

Alle nicht sonoranten Laute werden auch als Obstruenten bezeichnet. Während bei Sonoranten ein Klang erzeugt wird, hört man bei Obstruenten eher ein Geräusch., allerdings gibt es auch bei Obstruenten stimmhafte und stimmlose Laute. In der folgenden Tabelle sind einige Obstruenten aufgeführt.

/b/[bal] bBallBub
/d/[ˈdaːmə]dDameHund
/g/[ɡans]gGansBerg
/p/[ˈpuːdl̩]pbPudelBub
/t/[taːl]tdTalHund
/k/[ˈkat͡sə]kgKatzeBerg

Obstruenten-Gruppe 1

Wenn ein Kind am Leseanfang eine Silbe bzw. ein Wort mit den in dieser Tabelle aufgelisteten Obstruenten aus der Gruppe 1 liest, kann keine Lautsynthese vorgenommen werden, da die diese Obstruenten für sich nicht klingen können und bei der Artikulation, wie bereits gesagt, immer auch ein /ə/ artikuliert wird. Entsprechend würde beim synthetisierenden Lesen der Silbe „ta“ vom Kind nur /təa/ gelesen werden. Folglich ist für Silben dieser Art ein anderer Zugang nötig (s.u.).

In der Gruppe der Obstruenten gibt es aber auch einige Laute, auf die dies nicht zutrifft. Das sind die in der folgenden Tabelle aufgeführten Obstruenten, die ich in gruppiere als Obstruenten Gruppe 2:

/z/[ˈzɔkn̩]sSocken
/j/[ˈjoːjoː]jJo-Jo
/v/[vaːl]wvWalVase
/ʃ/[ˈʃlaŋə] schSchlange
/pf/[p͡feːɐ̯t] pfPferd
/f/[fɪʃ]fvFischVogel
/s/[ˈfyːsə]ßsFüßeGäste
/ts/[ˈt͡sɛltə]zZelte

Obstruenten-Gruppe 2

Werden diese Laute artikuliert, können sie langgezogen werden, ohne dass sich dabei der Klang verändert. Dies erleichtert die Synthese in der Silbe.

In der Darstellung fehlen noch einige Obstruenten, dies

Buchstaben, die am Anfangsrand einer Silbe  stehen und  laut gelesen als Obstruenten aus Gruppe 2 oder als Sononranten klingen, bezeichne ich im Folgenden gemeinsam als LLBs (leicht lesbare Buchstaben).

GESPANNTE UND UNGESPANNTE VOKALE

Bereits bei der Unterscheidung von Hasen- und Hundewörtern habe ich darauf hingewiesen, dass Silben mit gespannten (lange) Vokalen für Leseanfänger leichter zu lesen sind als Silben mit ungespannten Vokalen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass auf die ungespannten Vokale in prototypischen Wörtern immer noch ein weiterer Konsonant folgt (Hunde- bzw. Rattenwörter), weswegen die Silbe auch als geschlossen bezeichnet wird.

Offene und geschlossene Silben

Im Geschriebenen haben Hasen- und Rehewörter eine offene, Hunde- und Rattenwörter eine geschlossene erste Silbe. In geschlossenen Silben kann der Silbenendrand komplex sein, d.h., er wird aus mehreren Konsonanten gebildet, was die Anforderungen beim Lesen zusätzlich erhöht.

KOMPLEXE SILBENANFANGS- UND ENDRÄNDER

Im Deutschen gibt es viele Wörter mit einem komplexen Anfangs- und Endrand. Hierhin unterscheidet sich das Deutsche z.B. vom Türkischen. Die Komplexität bezieht sich dabei um das Umfeld des Vokals, d.h., wie viele Konsonanten vor bzw. nach dem Vokal einer Silbe auftreten. Man spricht hier auch von Konsonantenclustern.

Einige Beispiele für Wörter mit einem komplexen Anfangsrand sind:

  • blau
  • Pfau
  • Stop
  • Zwang

Beispiele für Wörter mit komplexem Endrand sind:

  • Arzt
  • selbst
  • Herbst (vgl. Fuhrhop & Peters 2013, S. 89)

Beispiele für Wörter mit komplexem Anfangs- und Endrand sind:

  • Strumpf
  • Knopf
  • schimpfst
  • latschst
  • peitschst (vgl. ebd., S. 90)

Beim Leseerwerb stellen Wörter mit komplexem Anfangs- und/oder Endrand eine Herausforderung dar. Diese Wörter sind schwieriger zu lesen als Wörter mit einer einfacheren Silbenstruktur, wie z.B. duoder wo.

In den vorangegangenen Abschnitten habe ich einige Merkmale der deutschen Orthographie herausgegriffen und in Grundzügen skizziert. Im Text Meilensteine des frühen Lesenswerde ich bei der Beschreibung der Meilensteine des frühen Lesens immer wieder Bezug nehmen zu den genannten Aspekten.

Literatur

Fuhrhop, Nanna und Peters, Jörg (2013): Einführung in die Phonologie und Graphematik. Weimar.

Röber, Christa (2001): Der Mythos der Lauttreue. Für eine andere Präsentation der Schrift. In: Grundschule 6/2001, S. 40-42

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[1]Dies wird in der Forschung kontrovers diskutiert, streng genommen gehört der Konsonant zu beiden Silben (Silbengeminante), es bleibt empirisch zu prüfen, ob bei der Artikulation tatsächlich bei beiden Silben das Konsonant klingt, wie Huneke darlegt.

[2]So können Sie z.B. mit einem Kinder, das die Schreibung stehtnoch nicht korrekt verschriftet, besprechen, dass steht eine Rehe-Wort ist, wodurch das Kind die morhpholoigisch begründete Schreibung von -h in stehtherleiten kann.

[3]https://grammis.ids-mannheim.de/rechtschreibung/6175zuletzt geprüft am 4.4.2019