„Learning from the Past for the Future: Literacy for All“ – 21. Europäischer Lesekongress in Kopenhagen 2019

Dänische Gemütlichkeit, ein strahlender Himmel und Hunderte begeisterte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die bei der Auftaktveranstaltung gemeinsam „Imagine“ von John Lennon singen. Wie heißt es da?

„Imagine all the people sharing all the world,
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one (…).“

Eine Konferenz wie diese, bei der sich Menschen aus vielen Teilen der Welt, aus vielen verschiedenen Lesegesellschaften, treffen, die ein gemeinsames Interesse verbindet – Schriftsprachkompetenz/Literacy -  ist bemerkenswert. Jede Teilnehmerin/ jeder Teilnehmer bringt einen Schatz an Wissen ein und so entsteht ein internationales und sehr vielfältiges Bild davon, was Literacy heute in verschiedenen Ländern bedeutet.

Alle 2 Jahre findet ein europäischer Lesekongress statt, diesmal zum 21. Mal! 2007 hat übrigens die DGLS in Berlin den 15. Europäischen Lesekongress unter dem Motto „Checkpoint Literacy“ veranstaltet, zu dem es auch zwei Mitgliederbände gibt. Seitdem die International Literacy Association (ILA, früher IRA) keine Weltkongresse mehr organisiert, haben sich die Europäischen Lesekongresse zu einer internationalen Veranstaltung entwickelt. Der Kongress in Kopenhagen hatte über 500 Teilnehmer aus 35 Ländern, mit 221 Präsentationen.

Thematisch war der Kongress bezogen auf die Europäische Erklärung des Grundrechts auf Lese- und Schreibkompetenz (European Declaration of the Right to Literacy). Im Rahmen von ELINET, der auch die DGLS als Partner angehört,  hatte eine Task Force unter Leitung von Renate Valtin diese Erklärung ausgearbeitet. Das Grundrecht besagt: „Jede Person in Europa hat das Recht, angemessene Lese- und Schreibkompetenz zu erwerben. Die EU-Mitgliedsstaaten gewährleisten, dass alle Menschen ungeachtet ihres Alters oder Geschlechts, ihrer sozialen und ethnischen Herkunft sowie ihrer religiösen Orientierung über die nötigen Ressourcen und Möglichkeiten verfügen, um gute Lese- und Schreibfähigkeiten zu erwerben, damit sie geschriebene Kommunikation in gedruckter und auch digitaler Form wirksam verstehen und verwenden können“ (mehr dazu findet sich unter diesem Link: http://www.eli-net.eu/about-us/literacy-declaration/).

Die ELINET Task Force hat 11 Voraussetzungen identifiziert, um das Recht auf Lesen und Schreiben zu verwirklichen. Die Themen des Kongresses in Kopenhagen bezogen sich auf diese 11 Bedingungen der Europäischen Erklärung.

Thema 1: Unterstützung und Förderung im Vorschulalter

„1. Kleine Kinder werden in der Familie in ihrer sprachlichen und schriftsprachlichen Entwicklung gefördert.

2. Eltern werden aktiv darin unterstützt, den Sprach- und Schriftspracherwerb ihrer Kinder zu fördern.

3. Erschwingliche und qualitativ hochwertige Vorschulen und Kindergärten fördern die sprachliche und schriftsprachliche Entwicklung aller Kinder.“

Thema 2: Verbesserung des Unterrichts

„4. Ein anspruchsvoller Lese- und Schreibunterricht für Kinder, Jugendliche und Erwachsene wird als Kernaufgabe aller Bildungsinstitutionen angesehen.

5. Alle Lehrkräfte erhalten eine solide Aus- und Fortbildung, damit sie der anspruchsvollen Aufgabe der Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenzen im Sprach- und Fachunterricht gerecht werden können.“

Thema 3: Digitale Kompetenz

„6. Digitale Kompetenz wird bei allen Altersgruppen gefördert“.

Thema 4: Schriftreiche Umgebung

„7. Lesen zum Vergnügen wird aktiv gefördert und angeregt.

8. Bibliotheken sind für alle Bürger/innen leicht zugänglich und bestmöglich ausgestattet“.

Thema 5: Schüler und Schülerinnen mit besonderen Bedürfnissen

„9. Kinder und Jugendliche, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, bekommen angemessene Hilfe von Expertinnen und Experten“.

Thema 6: Schriftspracherwerb als lebenslanger Prozess

„10. Erwachsene werden dabei unterstützt, die notwendigen Lese- und Schreibfähigkeiten zu entwickeln, um aktiv an der Gesellschaft teilhaben zu können.

11. Politische Entscheidungsträger, Fachleute, Eltern und kommunale Einrichtungen arbeiten gemeinsam an dem Ziel, allen Menschen den Erwerb angemessener Lese- und Schreibkompetenz zu ermöglichen und Bildungsbenachteiligung zu überwinden“.

Das Spektrum der Themen war sehr groß und vielfältig. Es wurden erfolgreiche Modelle, aber auch Stolpersteine aufgezeigt. Es gab Vorträge von Wissenschaftlern, aber auch von Menschen, die praktisch arbeiten und viele Erfahrungen teilten. Interessant war z.B., dass es Länder wie Deutschland gibt, in denen Rechtschreibung immer wieder ein Hauptthema in der Schule ist, und Länder, für die das Verfassen von Texten im Vordergrund steht. Was ein Blick über den Zaun bringen kann, wird bei einer solchen Konferenz klar. Entweder, weil ein Vortrag spannend ist oder weil der Austausch in den Pausen mit interessanten Menschen bereichernd ist. Es gab grundlegende Vorträge oder Diskussionsrunden, z.B. zum Thema „Anfangsunterricht im Lesen in verschiedenen europäischen Ländern“ (FELA) und eher spezielle Themen wie „Vorschulische Leser und Demotivation“, worüber möglicherweise noch nicht jeder nachgedacht hat (es ist sehr wichtig, dass ein Kind, das bei der Einschulung bereits lesen kann, keinen Leselehrgang komplett durchlaufen muss!). Anregend waren auch Workshops wie „Schreibkompetenz verbessern in Großbritannien und Dänemark“, in denen verschiedene Ländermodelle verglichen und diskutiert wurde, wie es in weiteren Ländern aussieht, was sich bewährt hat:  derjenige lernt, gute Texte zu verfassen, der in einer motivierenden und anregenden Schreibumgebung mit kompetenten und lernbegleitenden Lehrkräften unterrichtet wird.

Viele der Präsentationen können auf der Netzseite der Konferenz heruntergeladen werden, und zwar unter http://cph2019.dk/speakers/

„(…)I hope someday you'll join us
And the world will be as one.“

In diesem Sinne: Die Teilnahme an einer solchen Konferenz ist bereichernd. Sowohl Unterricht wie auch Schriftsprachkompetenz würden sich überall besser weiterentwickeln, wenn sich Fachleute und Praktiker mehr in solchen Foren austauschen würden. Wer Lust hat: Die nächste europäische Lesekonferenz findet vom 5. bis 7.7.2021 in Dublin statt. Save the Date!

Natalie Bors und Renate Valtin

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