Bald jährt sich der Tag, an dem der schreckliche Krieg in der Ukraine begann. Aus vielerlei Gründen ist es da Zeit innezuhalten. Ich denke über die Kinder nach, die seitdem bei uns zur Schule gehen. Natürlich ist die Bandbreite groß und es gibt nicht nur Erfolgsgeschichten. Eine solche möchte ich aber hier erzählen.
Oksana kam im Mai 2022 zu uns in die 3. Klasse. Weder ihre Mutter noch sie sprachen ein Wort Deutsch. Da wir recht schnell einige ukrainische Kinder bei uns hatten, sprachen diese sehr viel untereinander Ukrainisch und nahmen auch nebenher regelmäßig an ukrainischem Distanzunterricht teil. Oksana zeigte nicht viel Interesse an unserer Schule oder der deutschen Sprache.
Da bei uns an der Schule Schreibzeit stattfindet, erklärten wir Oksana mit Hilfe einer Übersetzungsapp den Gedanken der Schreibzeit: Jedes Kind darf Thema, Inhalt und Textsorte selbst bestimmen und frei Texte schreiben. Diese Texte werden regelmäßig vorgelesen und gemeinsam kindgeleitet besprochen. Oksana verstand zwar, was wir sagten, konnte das aber lange nicht umsetzen, weil sie aus ihrer Heimat sehr viel direktiveren Unterricht gewohnt war. Jede Woche tauchte sie aber mit ein in die Atmosphäre der Klasse und begann, kleine Inhalte zu notieren. Natürlich sagten wir ihr, dass sie auf Ukrainisch schreiben darf. Irgendwann begann sie auch, die Texte vorzulesen – für die anderen Kinder war es ein spannendes Erlebnis, die fremde Sprache zu hören. Worüber Oksana schrieb, erklärte manchmal unsere Russisch sprechende Kollegin den Kindern oder wir nahmen eine Übersetzungsapp zu Hilfe. Ich war nun lange nicht mehr in dieser Klasse. Vor 2 Wochen erlebte ich dann aber eine Schreibzeit mit Autorenrunde mit Oksana. Sie hatte sich in die Liste derer eingetragen, die vorlesen möchten. Sie bereitete sich mit einem anderen Kind während der Stunde auf den Lesevortrag vor. Als sie dran war, stellte sich heraus, dass sie ein sehr langes Comics geschrieben hatte. Sie sprach frei und gut – auf Deutsch. Ihr Vortrag war lang – die anderen lauschten konzentriert und staunten immer wieder. Ich sah, dass Oksana nach wie vor in kyrillischer Schrift geschrieben hatte – sie „las“ aber Deutsch vor.
Begeistert haben mich Oksanas Lernfortschritte: Sie hat unser Schulsystem angenommen und frei geschrieben. Sie hat ihren Weg gefunden – Schrift und Wort in verschiedenen Sprachen. Sie konnte alle Kinder mitnehmen und für ihr Thema begeistern und bekam unglaublich positive Rückmeldungen von ihren Mitschüler*innen, die ihr Selbstbewusstsein enorm steigerten.
Die Geschichte von Oksana ist eine Erfolgsgeschichte. Dies gelingt nicht bei allen Kindern – auch nicht bei uns, aber es zeigt, dass Kinder viel lernen können, wenn sie selbstbestimmt und motiviert ein Ziel verfolgen und dabei so unterstützt werden, wie sie es brauchen.
Christoph Jantzen
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