Fundsachen des Monats Juni 23

Natalie Bors hat sich in ihrer Fundsache März 23 mit der aktuellen Diskussion über die IGLU Studie auseinandergesetzt. Die Tatsache, dass viele Kinder am Ende ihrer Grundschulzeit nicht oder nur schlecht lesen und schreiben können, löst eine Reaktion der Kultus- und Schulministerien aus wie wir sie schon des öfteren präsentiert bekommen haben. Ihre Vorschläge führen zu keiner Lösung des Problems. Sie verwirren und unterschlagen die tatsächlichen Ursachen. Spürbare Verbesserung der Probleme kann nur durch Veränderung der Unterrichtmethodik gelöst werden. Das ruft geradezu nach einer Öffnung des Unterrichts, in der die Kinder individuell durch z.B. Wochenplanarbeit ihren Weg finden, das Lesen und Schreiben lernen zu können.
In meinen Fundsachen des Monats Juni 23 möchte ich die Gedanken von bekannten Literaten und Denkern zu Wort kommen lassen:

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) stellt den Lebensgebrauchswert der Grammatik in Abrede, „sie (habe) weder in der Schule des Volkes noch im Leben des Gebildeten etwas zu suchen. Eine Hauptüberzeugung, die sich immer in mir erneuerte, war die Wichtigkeit der alten Sprache (also auch der Deutschen Sprache) , aus dem Gebrauch, ohne Regel und ohne Begriff. Wer den damaligen Zustand des Schulunterrichts kennt, wird nicht seltsam finden, daß ich die Grammatik übersprang, sowie die Redekunst: mir schien alles natürlich zuzugehen, ich behielt die Worte, ihre Bildungen und Umbildungen in Ohr und Sinn und bediente mich der Sprache mit Leichtigkeit zum Schreiben und Schwätzen“.

Grammatik in der Grundschule ist laut der HRRL (Hessische Rahmenrichtlinien) als Aspekt des grundschulspezifischen Rechtschreiblehrgang zu betrachten. Die häufig vorkommenden Groß- und Kleinschreibfehler sind sozusagen die Schnittstelle zwischen Orthographie und Grammatik.Der Grammatikunterricht ist folglich kein separater Lehrgang sondern steht in engem Zusammenhang mit der Großschreibung z.B. der Substantive und substantivierten Wortarten. Die Rechtschreibung (richtiger: Richtig Schreiben) wird noch heute meist in alter Tradition im Unterricht als zentraler Lehrgang behandelt. Die Lehrgänge orientieren sich dabei an den gängigen Sprachbüchern, z.B „Mobile 2“, „Bausteine Deutsch“ oder „Pusteblume“, um nur einige zu nennen. Der Grammatikunterricht, den ein Sprachbuch als Leitlinie des Lernens der Rechtschreibung dient, wird noch heute häufig als seperater Unterricht ohne sinnvollen Zusammenhang mit z.B Sachunterrichtsthemen ab 2. Schuljahr duchgeführt. Sehr häufig sind dabei Sinnzusammenhänge konstruiert, die von den Kindern gar nicht nachvollzogen werden können, weil sie nicht aus ihrer Erlebniswelt stammen, sondern unter wissenschaftlichen Aspekten formuliert worden sind. Hinzu kommen Leistungskontrollen, die den Kindern Angst machen, weil sie Probleme mit den inhaltlichen Aufgaben und Fragestellungen haben.

Solche in den Lehrplänen verankerten Lehrgänge sind hochproblematisch und als bedeutsamen Grund für schlechte Rechtschreibleistungen zu betrachten.
Offener Unterricht, wie er seit einigen Jahren in vielen Grundschulen praktiziert wird, ist unter den oben beschriebenen Umständen nur schwer zu praktizieren. Sprachbuchbezogen frontaler Unterricht ist immer noch weit verbreitet.

Schon Konfuzius sagte: „Erzähle mir und ich vergesse, zeige mir und ich erinnere, laß es mich tun und ich verstehe“. So wie Goethe sagt uns Konfuzius, dass alle Kinder die Voraussetzungen für das Sprechen- und Schreibenlernen mit auf die Welt bringen, unabhängig ihrer unterschiedlichen Kulur- und sozialen Herkunft. Die Kunst der Lehrerinnen und Lehrer ist es, die natürliche Begabung der Kinder zu erkennen und zu nutzen. Lehrgänge, wie sie die Sprachbücher empfehlen, gehen an den natürlichen Gegebenheiten, über die die Kinder verfügen, vorbei.

Francois Rabelais ( 1449? - 1553) sagte:
„Kinder sind keine Fässer, die gefüllt,sondern Flammen, die entfacht werden wollen“.

K.F. Becker (1827) Grammatikunterricht gibt es etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts: Schon Rudolf Hildebrand hatte in seiner Kritik des Sprachunterrichts davon geschrieben, dass unser Sprachlernen ein Nachschaffen, ́ein eigenes Nachschaffen des schon vorhandenen ist, ein kleiner Schöpfungsakt in uns ́(ist). (Wolfhard Kluge, „Was hat Grammatikunterricht mit Friedenserziehung zu tun ? In: Muttersprache 96, 1986, S. 315)

Jürgen Reichen (Schweizer Pädagoge, Lesen durch Schreiben lernen) hat auf einem Expertenseminar an der Justus-Liebig Universität 1994 gesagt: „Statt über Formulierungen und den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu diskutieren, hält sich der muttersprachliche Unterricht seiner Meinung nach mit Formalitäten auf, die in der Praxis zu Unmündigkeit und hinsichtlich der politischen Bildung zu „Augenwischerei führen“.(Mitschrift aus dem Expertenseminar)

Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Das zeigen die o.g. Zitate. Schon viele Kolleginnen und Kollegen haben erkannt, dass der offene Unterricht nicht neu erfunden werden muss und der traditionelle Grammatikunterricht, der zum Richtig Schreiben führen soll, abgeschafft werden muss.

In diesem Sinne Hartmut Lange

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