Sexistischer Sprachgebrauch: heute und vor dreißig Jahren

Vor knapp zwei Jahren hat Erika Huth in einem Blog das Thema der geschlechtersensitiven Sprache aufgegriffen, mit einer zustimmenden Reaktion von Christoph Jantzen. Dazu möchte ich gern ein aus dem Leben gegriffenes Beispiel aufzeigen, das belegt, welche Fortschritte wir –dank der feministischen Sprachkritik (vor allem Luise Pusch) - gemacht haben. 

Hier ein über 30 Jahre alter Brief von mir an die Redaktion der ZEIT. Datum: 20.9.1989

Betr.: Sexistischer Sprachgebrauch in der ZEIT

Sehr geehrte Herren und Damen, 

Dieter E. Zimmer schrieb vor einigen Jahren in der ZEIT: „Die Frauen werden sich dreinschicken müssen, vom männlichen grammatischen Geschlecht mitvertreten zu werden“. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, als ZEIT-Leser behandelt zu werden. Als Zumutung für Ihre Leserinnen betrachte ich es jedoch, wenn in vielen Ihrer Artikel das männliche grammatische Geschlecht tatsächlich nur Männer repräsentiert und Frauen sich nicht einmal implizit angesprochen fühlen können: Beim jovialen „Wir“ oder „Du“ Ihrer männlichen Schreiber müssen Leserinnen erst einmal einen Geschlechtsrollentausch vollziehen, um die Ausführungen goutieren zu können. Dazu einige Kostproben:

„Der Zoni wird uns die Frauen wegnehmen“.

„Wir sind alle Hilfskräfte…ob Du im Smoking hantierst oder in Jeans“.

„Heutzutage wird nicht nur von uns erwartet, daß wir unsere Schwester küssen, sondern nahezu jede Frau, mit der wir mehr als nur eine vorübergehende Bekanntschaft haben“.

Auch bei Ausdrücken wie „alle“ oder „jeder“ werden Frauen häufig nicht mitvertreten:

„Noch nie wußten wir so viel von Künstlern wie heute /../. Der Dichter keusch und bei den Weibern“.

„Auf der Journalistenschule lernen sie, wie man … einen Flanellanzug trägt.“

Bei einigen Ihrer Artikel muss man zu der Schlussfolgerung gelangen, in unserer Welt gäbe es ausschließlich Männer (z.B. „Schreib und leide“ vom 12.5.89) oder im Beitrag über die Dienstleistungsgesellschaft, wo dies besonders absurd ist („Bedienen Sie sich selbst“, 1.9.89).

Der frauendiskriminierende Sprachgebrauch setzt sich fort in Ihren Äußerungen von den Vätern des Grundgesetzes oder schlägt sich nieder in der von Ihnen publizierten sexistischen Werbung (Beispiele dazu in der Anlage).

Meine Fragen:

- Sitzen in der ZEIT-Redaktion nur Chauvis?

- Wie hoch ist der der Anteil Ihrer weiblichen Leserschaft?

- Fühlen Sie keinerlei Verpflichtung, im Interesse Ihrer Leserinnen den Sexismus in Ihrem Sprachgebrauch abzustellen?

Mit freundlichen Grüßen

..

Am 6. Oktober 1989, also quasi postwendend, gab es dazu eine Antwort in der ZEIT-Rubrik DAS LETZTE. Nach einleitenden Worten ist zu lesen:

Und wenden uns wieder ernsten Problemen zu:

„Betr.: Sexistischer Sprachgebrauch in der ZEIT“, schreibt uns im Vokativ eine Berliner Professorin, die es als „Zumutung für alle Leserinnen“ betrachtet, „wenn in vielen Ihrer Artikel das männliche Geschlecht nur die Männer repräsentiert….“ – Sitzen in der ZEIT-Redaktion nur Chauvis?“ fragt sie und legt Indizien bei, die sich gewaschen haben: „Bei Ausdrücken wie ‚alle‘ und ‚jeder‘ werden Frauen häufig nicht mitvertreten“. Sie zeigt, da hilft kein Leugnen, Beweise vor, „Kostproben“, sagt sie, aus der ZEIT: „Der Dichter keusch und bei den Weibern…“ und „Noch nie wußten wir so viel von den Künstlern wie heute“. Wir verstehen. Das ist mit den Händen zu greifen. Sag mir, sagt der Dichter, wo die Frauen sind. Aber sagt er nicht auch: Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften? Schon hat sie uns wieder: „Beim jovialen ‚Wir‘ Ihrer Schreiber müssen Leserinnen erst einmal einen Geschlechtsrollentausch vornehmen“. Bei Gott, das wollen wir nicht! Aber sie beweist es. Sie zitiert uns, sie unterstreicht, sie ist empört: „Der Zoni wird uns die Frauen wegnehmen“.

Hier werden wir noch ernster, und etwas in uns sagt: Da ist nichts zu machen; bessern wir uns, eh es zu spät ist. Denn könnte nicht wirklich die Zoni euch die Frauen…? Die Werke Schopenhauers, der bekanntlich ein Chauvi war und einen Strafparagraphen gegen die Verhunzung der deutschen Sprache gefordert hat, schmeißen wir raus. Stattdessen wird die taz abonniert. Und bevor sich mit unserer Hilfe das „…Innen“ des emanzipierten Plurals durchgesetzt hat, sei geschworen: Wann immer wir künftig „Trottel“, „Tröpfe“ und „Dummköpfe“ noch in dieser Chauviform verwenden – wir werden den weitesten Umkreis der BerechtigtInnen ins Auge fassen und insbesondere die Berliner Professorinnen nicht vergessen.

Finis 

Als Reaktion auf diesen Beitrag haben übrigens viele Berliner Professorinnen so wie ich ihr ZEIT-Abo gekündigt. 

Über 30 Jahre später sind wir weiter, wie die Gesellschaft für deutsche Sprache (August 2020) belegt: „Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verankert. Ein wichtiger Aspekt, um die Gleichbehandlung sicherzustellen, ist eine geschlechtergerechte Sprache. […] Eine Gleichbehandlung, um die es bei geschlechtergerechter Sprache geht, ist beim generischen Femininum so wenig gewährleistet wie beim generischen Maskulinum“ (https://gfds.de/standpunkt-der-gfds-zu-einer-geschlechtergerechten-sprache/).

Beide Geschlechter (m und w) sprachlich zu berücksichtigen, ist für viele Personen selbstverständlich geworden. Problematisch bleibt jedoch die sprachliche Sichtbarmachung von Personen, die sich als „divers“ fühlen.

Aber Zitate aus dem Zusammenhang reißen, Häme, Spott, Verächtlich-Machen werden weiterhin als Mittel eingesetzt, um Personen, die sich für geschlechtergerechten Sprachgebrauch einsetzen, zu maßregeln, wie die neuen Kampfbegriffe „Genderwahn“ und „Gender-Gaga“ belegen.

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