Kinder mögen das Schreiben ohne Festlegung auf eine bestimmte Textsorte oder spezielle Aufgabenstellungen. Lehrpersonen freuen sich an den vielseitigen Produkten. Wie aber kann man aus solcher Freiheit entstandene Produkte bewerten, wenn man doch Noten „braucht“? Im Folgenden soll ein Bewertungsvorschlag erläutert werden, der auf der Basis textlinguistischer Erkenntnisse klare Kriterien an die Hand gibt.
Was ist das generelle Ziel beim Schreiben von Texten?
Die Antwort auf die o. a. Frage erscheint im Alltagsleben höchst einfach: Wer schreibt, möchte so formulieren, dass der Text von anderen Menschen verstanden wird, und dies im Zusammenhang mit unterschiedlichen Schreibanlässen. Diese grundlegende Zielsetzung - sich schriftlich ausdrücken zu können, seine Gedanken formulieren zu können - zeigt sich auch in den unterschiedlichen Benennungen dieses Lernbereiches in verschiedenen Lehrplänen: „Schriftlicher Sprachgebrauch“, „Textproduktion“, „Texte schreiben“ etc.
Sieht man von dem übergeordneten Ziel „Die Kinder sollen lernen, sich schriftlich auszudrücken“ aus, so müssten sowohl die Lerngelegenheiten als auch die Bewertungskriterien dieser globalen Zielsetzung angepasst werden. Als Konsequenz aus diesen Überlegungen finden sich in vielen Lehrplänen keine Verpflichtungen mehr im Hinblick auf Textsorten bzw. bestimmte Schreibformen (Inhaltsangabe, Beschreibung. Nacherzählung etc.), sondern klare Vorgaben im Hinblick auf Schreibfunktionen, z.B. „informieren, appellieren, erzählen“.
Wenn Kinder generell lernen sollen, sich schriftlich ausdrücken zu können, so muss es neben den „klassischen“ zielgerichteten Schreibanlässen auch die Möglichkeit geben, dass ein Kind beim Schreiben sowohl das Thema als auch die Textsorte selbst bestimmt. Dies ist der Fall beim freien Schreiben in freien Unterrichtszeiten (vgl. Sennlaub 1980) sowie beim Praktizieren von „offenen Schreibanlässen“ (Altenburg 1996).
Beim freien Schreiben in „Reinkultur“ bestimmt das Kind, wann es schreibt, was es schreibt, wie es schreibt und auch ob es schreibt. Beim Einsatz von offenen Schreibanlässen wird ein Rahmenthema vorgegeben - z.B. in Form eines thematischen Stichwortes -, das Kind ist verpflichtet zu schreiben, Textsorte und genaues Thema werden jedoch vom Kind selbst bestimmt, je nach Rahmenthema oder auch Vorliebe des Kindes entstehen so unterschiedliche Textsorten. Es hat sich inzwischen eingebürgert, alle Texte von Kindern, die ohne spezielle Vorgaben geschrieben werden, als „freie Texte“ zu bezeichnen. Im Zusammenhang mit der Textbewertung geht es darum zu zeigen, wie man Texte bewerten kann, die ohne spezielle Vorgaben geschrieben wurden und damit ohne bewertungsleitende Normen, die die Kinder meinen erfüllen zu müssen. Es geht also darum, beliebige von Kindern geschriebene Texte bewerten zu können.
Was ist ein Text?
Ein stimmiger Text hat ein Anfang und ein Ende und die dazwischen liegenden Textteile sind miteinander verknüpft. Diese Verknüpfungen erfolgen auf drei verschiedenen Ebenen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass ein Text verständlich ist und damit seine kommunikative Funktion erfüllt. Die drei verschiedenen Textebenen sind:
• Auf der eher formalen syntaktischen Ebene erfolgen Verknüpfungen über unbestimmte und bestimmte Artikel, über Pronomen, über Konjunktionen etc.
• Die semantischen Verknüpfungen stellen Verknüpfungen auf der Inhaltsebene dar; hier werden Bedeutungen von Wörtern miteinander verknüpft bzw. aufeinander bezogen. Um diese Leistung zu vollbringen, muss man mit den Wörtern eine Vorstellung verbinden (Fachausdruck: Referenz).
• Auf der pragmatischen Ebene werden Textteile oder größere Ausdrücke miteinander verbunden. Auch hier müssen, wie auf der semantischen Ebene, Vorstellungsleistungen hinzutreten, damit Verknüpfungen erfolgen können.
Sind alle Verknüpfungs- und Vorstellungsleistungen erbracht worden, dann wird der Text verstanden. Man kommt zum Ergebnis und weiß, wovon in dem vorliegenden Text die Rede ist (Fachbegriff: Textkonsequenz). Die lesende Person entschlüsselt sozusagen die Verknüpfungen, die die schreibende Person geschaffen hat.
Textlinguistische Erkenntnisse und Textbewertung
Die frei entstandenen Kindertexte können ohne Schwierigkeiten bewertet werden, wenn wir die Kernfrage beantworten können, nämlich was denn einen stimmigen Text ausmacht. Wenn wir Erkenntnisse der Textlinguistik betrachten, beschäftigen wir uns zugleich mit Grammatik. Dies bedeutet wiederum, Regularitäten von sprachlichen Phänomenen zu betrachten.
Im Bereich der Syntax bedeutet eine grammatische Betrachtung, sich mit Satzbauplänen zu befassen bzw. deren theoretische Definition. Im Bereich der Semantik geht es um die Bedeutung und Bedeutungsfestlegung in unterschiedlichen Zusammenhängen (z.B. „Teekessel-Wörter“).
Die linguistische Pragmatik thematisiert tatsächliches sprachliches Handeln, also beispielsweise die Frage, in welcher syntaktischen Form eine Aufforderung (sprachliches Handeln!) formuliert wird bzw. erfolgt („Kannst du mir die Milch herüberreichen?“ „Bitte gib mir die Milch.“ „Ich brauche Milch.“ usw.).
Im Bereich Textlinguistik geht es um die Frage, was einen Text zum Text macht bzw. was die Texthaftigkeit einer Ansammlung von sprachlichen Ausdrücken ausmacht. Hierzu gibt es - wie zu allen grammatischen Bereichen - unterschiedliche theoretische Modelle.
Allen Textmodellen gemeinsam sind allerdings bestimmte grundlegende Erkenntnisse, die im folgenden Modell (Ader/Kress 1980) verdeutlicht werden. Als Texte werden hier alle schriftlichen wie mündlichen kommunikativ funktionierenden Äußerungen betrachtet (die bildlich vermittelten gehören auch hierzu, haben aber in unserem Zusammenhang eine geringere Bedeutung).
Ein einfaches Text-Modell
Aus den vorangegangenen Erläuterungen ergibt sich im Überblick das in Abb. 1 dargestellte Text-Modell. An einem Kindertext aus einer vierten Klasse soll das o. a. Textmodell veranschaulicht werden siehe Abb. 2. Der Text wurde geschrieben als Kurztext für ein Erinnerungsbuch in Klasse 4:
xxxxxxxxxx
- | Konnexion / Kohärenz Verknüpfung | Referenz Vorstellung | Konsequenz Mitteilung / Wirkung |
Syntax (Satzbau) | x | ´- | - |
Semantik (Bedeutung) | x | x | - |
Pragmatik (sprachliches Handeln) | x | x | x |
Max war unser Feinschmecker
Er bekam immer Essen von den anderen.
Bevor er gegessen hat, roch er jedes Mal daran.
Er probierte immer alles und aß dann mit vollem Genuss.
Max war unser Feinschmecker. Er bekam immer Essen von den anderen. Bevor er gegessen hat, roch er jedes Mal daran.
Die syntaktischen Verknüpfungen gehen über den Namen und die Pronomen in jedem Satz: Max - er - er - er. Hinzu kommt die Konjunktion „Bevor“.
Auf der semantischen Ebene wird der „Feinschmecker“ verbunden mit „Essen“, dies wiederum mit „gegessen“, dann folgt die Verbindung von „gegessen“ zu „aß“.
Auf der pragmatischen Ebene wird im ersten Satz, dem Textanfang, eine Feststellung getroffen (Max ist ein Feinschmecker). Hier stellen wir uns zunächst einmal einen Feinschmecker vor, d. h. wir aktualisieren verschiedene Vorstellungen, die wir mit diesem Begriff verbinden.
In diesem Text wird ein Bereich der Feinschmeckerei angesprochen, nämlich dass ein Feinschmecker Essen angeboten bekommt und daran riecht: Auf diese Weise ist Satz 1 mit den beiden Sätzen 2 plus 3 verbunden.
Im letzten Satz (Satz 4), dem Textende, wird die Quintessenz mitgeteilt, nämlich dass ein Feinschmecker alles probiert und mit Genuss isst.
Wenn wir uns unter einem Feinschmecker nichts hätten vorstellen können, hätten wir eventuell aus diesem Text, aus dem Kontext von Essen, Probieren, Riechen erschließen können, dass diese Tätigkeiten mit Feinschmeckerei zu tun haben und sozusagen den Genuss darstellen.
Textkonsequenz: Wir haben alle verstanden, dass hier über einen Jungen geschrieben wird, der ein Feinschmecker ist, weil er genießt.
Es geht im Folgenden nicht darum, jeden Kindertext in subtiler Weise zu analysieren, sondern darum, mithilfe der vorliegenden textlinguistischen Kategorien festzustellen, ob es sich bei dem jeweils vorliegenden Text um einen stimmigen Text handelt. Stimmig im textlinguistischen Sinne heißt, dass das vorliegende Produkt als Text bezeichnet werden kann, dass es sich um einen richtigen Text handelt (Richtig kann hier im mathematischen Sinne der Unterscheidung von „richtig“ und „falsch“ verwendet werden.). Dazu müssen nicht sämtliche Verknüpfungen auf allen Ebenen gefunden werden! Es genügt oft, wenn die Lehrperson generell Verknüpfungen sieht und damit zuerst einmal Distanz zum Inhalt und Distanz von tradierten Textbetrachtungsweisen gewinnt (vgl. Altenburg 1999).
Tradierte Textnormen behindern die Schreibfähigkeit
In etlichen Klassenräumen finden sich Plakate mit den folgenden Hinweisen für die Kinder:
Schreibe in vollständigen Sätzen!
Keinen Satz mit „Und“ anfangen!
Keine Wiederholungen!
Verwende farbige Adjektive und treffende Verben!
Setze wörtliche Rede ein
Diese Vorgaben sind nicht haltbar, denn sie stellen unsinnige Forderungen dar, die durch keinerlei linguistische oder literatur-theoretische Erkenntnisse zu untermauern wären. Im Allgemeinen sind sich auch alle Kolleginnen und Kollegen einig, dass Parallelismus und Wiederholung zu den Stilmitteln gehören, dass ein Tempuswechsel eine Funktion haben kann, dass Satzanfänge mit „Und“ selbstverständlich korrekt und damit „legal“ sind. Auch die Forderung nach vollständigen Sätzen entbehrt jeder Grundlage.
In der Literatur für Erwachsene wie für Kinder finden sich reichlich Beispiele für die Verwendung von Wiederholungen, Satzanfängen mit „Und“, unvollständigen Sätzen etc. Die interessante Frage ist nun, ob Kinder „dürfen“, was die Dichterinnen und Dichter dürfen. Es fiele niemandem ein, in Mathematik zu vermitteln, dass 2 plus 2 vorübergehend 5 sei und die richtige Lösung 4 erst später käme. Im Bereich des Schreibens wird aber oft in dieser Weise argumentiert: Die Kinder müssten es erst einmal „vereinfacht“ lernen, sonst kämen sie nicht zum Schreiberfolg.
Meine Erfahrungen und die zahlreicher Kolleginnen und Kollegen bestätigen, dass die Schreibprodukte von Kindern in Klasse zwei oft wesentlich vielseitiger und sprachlich interessanter sind als die aus Klasse vier. Ich habe viele Kindertexte aus dritten und vierten Klassen gesehen und festgestellt, dass manchmal alle Kinder einer Klasse keine Wiederholungen mehr verwenden, keine Zeitwechsel, keinen Satz mit „Und“ anfangen etc. Das heißt, die Kinder haben gelernt, was sie lernen sollten und haben sich vieler sprachlicher Gestaltungsmöglichkeiten begeben.
In Kindertexten aus zweiten Klassen finden sich dagegen Wiederholungen, Satzverbindungen mit „Und“ etc., deren Funktion bei einer Textanalyse deutlich wird. Ob Kinder diese sprachlichen Mittel bewusst eingesetzt haben, hat uns nicht zu interessieren. Entscheidend ist der Text, der vorliegt. An diesem Text kann untersucht werden, welche Funktion bestimmte sprachliche Mittel haben.
Am Beispiel der Wiederholungen könnte auch Kindern bei einer gemeinsamen Textbetrachtung (Texte von fremden Kindern, Texte von Kinderbuch-Autorinnen bzw. Autoren) die unterschiedliche Wirkung deutlich werden: Wiederholung als Betonung; Wiederholung, weil die Sache so heißt wie sie heißt (Der Schuh ist der Schuh und nicht die Fußbekleidung etc.) oder Wiederholung, die einen Text uninteressant macht. Dieses Unterscheidungsvermögen gilt es zu schulen anstelle von globalen „Verboten“.
Textbewertung als Bewertung von Schreibprodukten
Wenn Kinder beim Schreiben im Rahmen von offenen Schreibanlässen (oder beim freien Schreiben) einen Text produzieren, so besteht die gestellte „Aufgabe“ lediglich darin, „etwas“ zu schreiben, d.h. die Gedanken zu einem Thema zu Papier zu bringen. Ich möchte mich bei meinem Beurteilungsvorschlag auf die Betrachtung der vorliegenden Produkte von Kindern beschränken, da hieraus Rückschlüsse auf die generellen Schreibfähigkeiten im Sinne der o. a. Zielsetzung gezogen werden können. (Inwieweit hieraus eine gezielte Förderung abgeleitet werden kann, muss im Einzelfall geklärt werden.)
Durch die Erfahrungen vieler Kolleginnen und Kollegen wird bestätigt, dass häufiges Schreiben von Texten - auch bei „kleinen“ Anlässen - sowie der frühe Beginn des Textproduzierens in Klasse 1 zur Entwicklung von Schreibfähigkeiten und zur Schreibmotivation beitragen nach dem Motto „Schreiben lernt man nur durch Schreiben“ (Sennlaub 1980).
Zu empfehlen sind kurze Schreibzeiten, zum Beispiel der tägliche Zehn-Minuten-Text. Das Schreiben von kurzen Texten trägt zur Ermutigung der nicht so leistungsstarken und schreibfreudigen Kinder bei und führt alle Kinder zum konzentrierten Formulieren ihrer Gedanken. Im Unterricht sollte beides seinen Platz haben: das ausführliche Schreiben wie die kurze schriftliche Äußerung. Ebenso wie freies Schreiben und offene Schreibanlässe ohne Festlegung der Textsorte neben zielbezogenen Schreibanlässen stehen sollten.
Es gibt unterschiedliche Wege, die Schreibleistungen von Kindern zu würdigen bzw. auch zu bewerten. Im Allgemeinen können sich Lehrpersonen der Vergabe von Ziffernnoten - spätestens in Klasse 4 - nicht entziehen. Bei allem Engagement für andere Formen der Beurteilung müssen also auch Bewertungssysteme für Ziffernnoten gefunden werden, die pädagogischen wie fachlichen Ansprüchen genügen können. Mithilfe des o. a. Textmodells ist es meiner Ansicht nach möglich, einen einigermaßen objektiven Maßstab zu finden, mit dessen Hilfe das Schreibprodukt analysiert und dann bewertet werden kann. In diesem Falle wird auch das individuelle Kind mit seiner Lebensgeschichte, seinen Verhaltensweisen in der Schule etc. nicht in die Betrachtung einbezogen. Unerheblich ist auch die Aufgabenstellung, die ja im Allgemeinen lediglich in der Aufforderung zum Schreiben besteht. Mündliche Vorarbeit für das Schreiben von Texten, die m. E. sowieso kritisch zu sehen ist im Hinblick auf mögliche Einschränkungen und Festlegungen von Kindern, kann und darf hierbei nicht einfließen. Das Schreibprodukt steht im Mittelpunkt der Betrachtung.
Ein richtiger Text ist eine zufrieden stellende Leistung
Bei der Festlegung von Bewertungsnormen bestehen selbstverständlich Spielräume in der Bestimmung dessen, was als angestrebte bzw. geforderte Leistung angesehen wird. Ich schlage vor, dass ein im textlinguistischen Sinne richtiger, stimmiger Text als „befriedigend“ bezeichnet, also mit der Ziffernnote „Drei“ versehen wird, und zwar aus folgenden Gründen: Wenn das globale Lernziel im Bereich des Textschreibens darin besteht, dass ein Kind in der Lage sein soll, Texte zu produzieren, also sich schriftlich verständlich auszudrücken, so ist mit der Produktion eines stimmigen Textes dieses Ziel erreicht worden. Hier geht es also nicht darum, ob ein Text als „schön“ bezeichnet werden kann, ob er der Lehrperson oder dem „Publikum“ (den anderen Kindern) gefällt, ob dieser Text besonders anspricht oder auch nicht. Es geht ausschließlich und lediglich darum, ob das vorliegende Produkt als Text bezeichnet werden kann, ob es das globale Kriterium der Stimmigkeit erfüllt. Und damit, ob im Einzelnen ein Anfang und ein Ende zu erkennen ist, ob Verknüpfungen zwischen den einzelnen Textteilen vorliegen, ob der Text also insgesamt verständlich ist. Die folgenden Texte (siehe Abb. 3 und Abb. 4) wurden zu Beginn der Klasse 3 geschrieben zum offenen Schreibanlass „Schulhof“ (Schreibzeit: 15 Minuten, vgl. S. 50). Beide Texte sind stimmig, d.h. die Verknüpfungen sind nachvollziehbar. Es handelt sich somit um richtig konstruierte Texte und damit um eine zufrieden stellende Leistung.
Note: Ausreichend
Ob bei Kindern im Grundschulalter das Notenspektrum ausgeschöpft werden sollte, ob also auch die Note „Mangelhaft“ bei Textprodukten vergeben werden sollte, ist umstritten. Ich halte dies für nicht notwendig, zumal teilweise wenig fachspezifische Grundlagen einer solch drastischen Beurteilung zu Grunde liegen.
Mein Vorschlag geht also dahin, nicht ganz stimmige Textprodukte als „ausreichend“ im weitesten Sinne zu bezeichnen und mit der Ziffernnote „Vier“ zu versehen. Bei nicht ganz stimmigen Texten können falsche Verknüpfungen gegeben sein, es kann eine Vermischung mehrerer Texte vorliegen etc. Beim folgenden Text stimmen einige Verknüpfungen nicht.
Unser Schulhof
Der Schulhof ist schön, aber er kann auch ganz langweilig sein.
Wenn man bei uns auf die Steine fällt, das tut dann sehr weh.
Unser Schulhof ist groß. Wir sind meistens in der Pause auf dem Hartgummiplatz und wir haben ja ein neues Gerät bekommen, das ist sehr schön.
Ich finde schön, dass so viele Bäume auf unserem Schulhof stehen. Aber ich finde schade, dass wir nicht auf die Bäume drauf klettern dürfen.
Und an unsere Turnstangen gehe ich gerne dran, aber meistens sind sie besetzt.
Wenn wir zwei Stunden haben, dann können wir nicht auf den Schulhof. Das ist sehr schade.
Die Bäume auf unserem Schulhof sind sehr grün, daraus kann man viel machen.
In diesem Text sind viele positive Ansätze. Die notwendigen Veränderungen im Hinblick auf richtige Verknüpfungen müssten mit dem Kind im Einzelgespräch geklärt werden: Die Überschrift passt. Anfang und Ende (vorletzter Satz) haben einen Zusammenhang und bilden die Klammer für die eigene Meinung zum Schulhof.
Was das Kind insgesamt sagen will, ist uns allen klar. Es werden jedoch viele Einzelaussagen zum Schulhof gemacht, die teilweise unverbunden nebeneinander stehen. Man sollte das Kind darauf hinweisen, dass die Sätze 5 und 6 gut miteinander verknüpft sind (Bäume - klettern) und dass gedankliche Verbindungen wohl vorhanden, aber im Text nicht immer nachvollziehbar sind. So bezieht sich der zweite Satz inhaltlich auf den Schulhof, aber die Verbindung ist nicht schlüssig. Der letzte Satz ist komplett überflüssig, da nicht anknüpfend.
Im Sinne der Texthaftigkeit müsste erklärt werden, dass „Gedankensprünge“ das Verstehen des Anliegens bzw. der verschiedenen Informationen bzw. Mitteilungen behindern.
Der Text des Kindes sollte so wenig wie möglich verändert werden, um Stimmigkeit zu erzeugen. Man könnte durch eine Umstellung des zweiten Satzes und eine kleine Ergänzung die Zusammenhänge herstellen (Satz 3 vor Satz 2).
Unser Schulhof
Unser Schulhof ist schön, aber er kann auch ganz langweilig sein.
Unser Schulhof ist groß und teilweise gepflastert. Wenn man bei uns auf die Steine fällt, das tut dann sehr weh.
Ich finde schön, dass so viele Bäume auf unserem Schulhof stehen. Aber ich finde schade, dass wir nicht auf die Bäume drauf klettern dürfen.
An unsere Turnstangen gehe ich gerne dran, aber meistens sind sie besetzt.
Wenn wir zwei Stunden haben, dann können wir nicht auf den Schulhof. Das ist sehr schade.
Es ist in jedem Falle wichtig, das Kind, das diesen Text geschrieben hat, nicht zu entmutigen, sondern Gelungenes zu bestärken und Verbesserungsbedürftiges gemeinsam mit dem Kind zu klären. Hierbei sollte die Position der lesenden Person, die den Text ja verstehen soll, in den Vordergrund gestellt werden. Bei dem in zwei dritten Klassen durchgeführten offenen Schreibanlass gab es keinen einzigen Text, der in so hohem Maße nicht stimmig gewesen wäre, dass nur die Note „Ausreichend“ adäquat erschienen wäre.
Da der vorliegende Text zu Beginn des dritten Schuljahres geschrieben wurde, könnte man auf Grund der positiven Aspekte natürlich auch auf eine „Drei minus“ geben, um die Einschränkungen hinsichtlich der Stimmigkeit deutlich zu machen.
Wann liegt eine gute und eine sehr gute Leistung vor?
Die Unterscheidung von „Gut“ und „Sehr gut“ halte ich nicht für besonders gravierend. Entscheidend scheint mir vielmehr zu sein, wann eine Schreibleistung über die Grundanforderung des „stimmigen Textes“ hinausgeht. Mein Vorschlag geht dahin, alle positiv auffälligen Textleistungen herauszufinden, zu betrachten und zu gewichten. Vorrangig sind hierbei sprachliche Leistungen. Besondere Leistungen auf der inhaltlichen Ebene können jedoch ebenfalls Berücksichtigung finden. Kurz: Was positiv auffällt, trägt zur Steigerung der Leistung bei.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Fragen „Hat das Kind dieses sprachliche Mittel bewusst eingesetzt?“ oder „Wo hat das Kind das gelernt?“ nicht relevant sind. Es kommt ausschließlich und entscheidend darauf an, wie der Text beschaffen ist, der „auf dem Tisch liegt“. Wir wollen uns auf die Betrachtung von Produkten konzentrieren. Dass auch Wirkungen von Texten - bedingt durch die Verwendung bestimmter sprachlicher Mittel - analysiert werden, ergibt sich von selbst.
Ich möchte einen Kindertext vorstellen, der nicht nur richtig ist im Sinne von textualer Korrektheit, sondern das sprachliche Mittel der Wiederholung enthält. Die Wirkung dieser Wiederholung liegt darin, dass die Beispiele für Spielmöglichkeiten gleichberechtigt nebeneinander stehen, dass sie evtl. ad infinitum fortgesetzt werden könnten.
Wie man in der Pause spielen kann
Man kann ans Klettergerüst klettern.
Man kann auch Fangen und Verstecken spielen.
Man kann mit der Kletterspinne spielen.
Man kann gemeinsam eine Bude bauen.
Man kann Fußball spielen.
Jan.
Für diesen Text käme also die Bewertung „Gut“ in Frage, da ein sprachliches Mittel wirkungsvoll angewendet wurde.
Beim folgenden Text handelt es sich ebenfalls um einen stimmigen Text. Also: auf jeden Fall „Befriedigend“. Dieser Text enthält ebenfalls eine sprachliche Auffälligkeit. Die besondere sprachliche Leistung, die hier auffällt, ist die Verbindung von „Warum“ in der Überschrift zum „Darum“ im letzten Satz. Auf Grund dieser sprachlichen Leistung geht die Bewertung über das „Befriedigend“ hinaus. Wir kommen also zum „Gut“ oder „Sehr gut“. Hier ergeben sich tatsächlich Spielräume im Hinblick auf die individuelle Sicht bzw. Gewichtung der Lehrperson. Mit welcher der über den Durchschnitt hinausgehenden Bewertungen dieser Text versehen wird, ist nicht eindeutig. Ich schlage das „Sehr gut“ vor, da ich die vorliegende Kombination für besonders pfiffig und ungewöhnlich halte (für ein Kind zu Beginn der Klasse 3).
Warum die Kinder den Schulhof mögen
Die Kinder mögen den Schulhof, weil sie darauf spielen können.
Sie spielen Fangen, Verstecken, Fußball.
Darum mögen die Kinder den Schulhof.
Martin
Abschied nehmen von tradierten Gewohnheiten?
Mein Vorschlag für eine Textbewertung ohne Betrachtung der Aufgabenstellung, ohne Überprüfung der Textsorte, ohne die Kategorie des von der Lehrperson Erwarteten bezieht sich auf die Feststellung der generellen Schreibfähigkeit, d. h. auf die Fähigkeit jedes einzelnen Kindes, einen stimmigen Text zu produzieren. Manche Kolleginnen und Kollegen halten das Schreiben von selbstbestimmten Texten für richtig und wichtig, rücken aber wieder davon ab, wenn sie die Notwendigkeit einer Bewertung in den Blick nehmen. Dass man diese Texte bewerten kann, halte ich für ein wichtiges Argument dafür, dass die Entwicklungs-Chancen, die das selbstbestimmte Schreiben bietet, allen Kindern eingeräumt werden.
Natürlich gibt es neben freiem Schreiben und offenen Schreibanlässen auch zielgerichtetes Schreiben mit vorgegebener Textsorte. Das vorgestellte Bewertungsschema könnte auch hier genutzt werden, und zwar mit einer Ergänzung um die Merkmale der je spezifischen Textsorte.
Das von mir ausgearbeitete Bewertungsmodell ist sicherlich für manche Lehrperson provokativ. Ich schlage vor, es gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zu erproben, es auszuprobieren, indem in Kleingruppen verschiedene Kindertexte aus unterschiedlichen Klassen analysiert und bewertet werden. Man könnte zuerst bestimmen, welche Texte im linguistischen Sinne stimmig sind, also eine zufrieden stellende Leistung darstellen, und welche nicht. In einem zweiten Arbeitsschritt würden dann alle positiven Auffälligkeiten festgestellt und in Richtung „Gut“ oder „Sehr gut“ eingeordnet.
Ich habe zwei solcher Versuche mit allen Lehrpersonen eines Kollegiums gemacht (vier dritte und vier vierte Klassen hatten zum Thema „Baum“, alle zweiten, dritten u. vierten Klassen einer anderen Grundschule hatten zuvor zum Thema „Himmel“ geschrieben). Die beteiligten Kolleginnen und Kollegen waren verblüfft, wie hoch das Maß an Übereinstimmungen war.
Literatur
Ader, Dorothea/Kress, Axel: Sprechen, Sprache, Unterricht. Paderborn 1980
Altenburg, Erika: Offene Schreibanlässe, Donauwörth 32000
Altenburg, Erika: Regularitäten von Texten mit Kindern entdecken.
In: Grundschulunterricht, Heft 10 / 1999, S. 22 – 25
Sennlaub, Gerhard: Spaß am Schreiben oder Aufsatzerziehung? Stuttgart u.a. 1980
Christoph Jantzen
Gibt es eigentlich Mitgliederinnen? Geschlechtersensitive Sprache
Hanna Sauerborn
Frage des Monats: Leseflüssigkeit fördern
Erika Altenburg
Frage des Monats: Leseflüssigkeit fördern
Sabine Birck
Frage des Monats: Leseflüssigkeit fördern
Hans Brügelmann
Frage des Monats: Leseflüssigkeit fördern