PISA: Das deutsche Debakel und die richtigen Lehren daraus

Presseerklärung des Grundschulverbandes - Arbeitskreis Grundschule vom 17.12.2001

Die Ergebnisse der PISA-Studie sind deprimierend. Ebenso deprimierend ist, was die Schulpolitik an Folgerungen zieht: Der Ministerpräsident von Hessen fordert eine "Kultur der Anstrengung", die baden-württembergische Schulministerin schärfere Zensuren, der Bremer Schulsenator frühe Diagnose, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf 12 Jahre, die bayrische Kultusministerin frühere Einschulungen usw.     "Alles am Thema vorbei", beklagt der Vorsitzende des Grundschulverbandes Horst Bartnitzky, "denn nichts davon fördert die Lesekompetenzen gerade auch der Wenig- und der Nichtleser. Und genau darum müsste es doch gehen." Dabei sind die wirklich wirksamen Konzepte bekannt. Der Grundschulverband verweist auf die Ergebnisse von Leseforschung und Lesepädagogik. Zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen haben zu Hause keine erwachsenen Lesevorbilder und nicht erfahren, dass Lesen eine Lust ist. Sie sind deshalb für diese Grunderfahrungen auf die Schule angewiesen. Diese Kinder erwerben Lesekompetenz aber nicht durch Lesetraining in zusätzlichen Förderstunden, nicht durch stotternde Vorleseübungen, nicht durch das Durchnehmen von Texten aus dem Lesebuch. Lesekompetenz erwirbt man durch Lesen selbst - vor allem und zunächst durch freiwilliges und lustvolles Lesen, ohne dass dies gleich zensiert wird. Horst Bartnitzky bringt dies auf die Formel: "Nur wer gerne liest, unterzieht sich der Anstrengung, die Lesen z.B. im Unterschied zum Fernsehen bedeutet. Nur wer gerne liest, liest auch viel. Und nur wer viel liest, entwickelt seine Lesekompetenzen."    Der Grundschulverband verweist auf die lesepädagogische Schatzkammer voller Ideen und schulischer Erfahrungen, wie solche Leselust bei allen Kindern in der Schule gefördert werden kann und wie sich darauf aufbauend Lesekompetenzen entwickeln lassen: freie Lesezeiten, Leseprojekte, Lesetagebücher, Autorenlesungen, fantasievoller Umgang mit Gelesenem; bei Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache das Lesenlernen in der Sprache, die sie bereits kennen, und die ersten Kinderbücher auch in dieser Sprache; Leseförderung weit über die Grundschuljahre hinaus und vieles mehr.    Mit Blick auf die Schulwirklichkeit stellt der Grundschulverband aber fest: Das Lesen teilt sich mit den anderen wichtigen Bereichen des Deutschunterrichts die fünf Stunden in der Woche; eine ansehnliche Bibliothek ist nur an Schulen anzutreffen, die gesponsert werden (gerade die Schulen mit vernachlässigten Kindern gehören meist nicht dazu); für Lesezonen in der Klasse und in der Schule ist meist kein Platz vorhanden, schon weil das Raumprogramm für Schulen dies gar nicht vorsieht; Migrantenkinder sollen in der Regel zunächst "ganz schnell" Deutsch lernen und in dieser für sie oft ungewohnteren Sprache auch gleich das Lesen; Leseförderung endet in der Regel nach Klasse 4. Auf der ganzen Linie also fehlen der Schule die notwendigen Bedingungen, dass sich Lesekompetenzen entwickeln: die Zeit, die Räume, der Lesestoff, und da alles immer schnell gehen muss: die pädagogische Geduld. Deshalb lesen am Ende nur die erfolgreich, die schon durch ihr Zuhause zum Lesen gekommen sind. Die anderen bleiben auf der Strecke. Weil die Schule hier versagen muss, versagen auch viele Kinder und Jugendlichen. Das ist die bittere Erkenntnis.    Horst Bartnitzky fordert deshalb ein neues Denken in der schulpolitischen Debatte: "Dem Lesen gebührt als Schlüsselqualifikation mindestens dieselbe politische Aufmerksamkeit und finanzielle Zuwendung, wie sie in diesen Jahren den neuen Medien zukommt. Darüber hinaus brauchen Kinder mehr Zeit für genießendes Lesen, für Gespräche über Gelesenes, für den Aufenthalt in Büchereien und Gespräche mit Autorinnen und Autoren - mehr Zeit als die üblichen Stundentafeln hergeben und mehr Lesezonen als sie im Raumprogramm der Schulen vorgesehen sind. Die Grundschule als Schule auch der grundlegenden Lesebildung muss dabei besonders bedacht werden. Sie muss vom Schlusslicht der staatlichen Zuwendung (übrigens auch im internationalen Vergleich) in eine Spitzenstellung gebracht werden. Nur, wenn diese Folgerungen gezogen werden, wird sich an der deprimierenden Lage etwas spürbar ändern. Und wer dies alles den deutschen Lesepädagogen nicht glauben will, kann sich beim PISA-Ersten, nämlich in Finnlands Schulen, hierüber aufklären lassen."   
Die Homepage des Grundschulverbandes finden Sie unter www.grundschulverband.de

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