Offene Schreibanlässe – Ein Themenstichwort und 25 Texte von Erika Altenburg

Freies Schreiben und offene Schreibanlässe bieten Kindern die Möglichkeit, einen Text nach eigener Wahl zu schreiben und dabei sowohl den Inhalt als auch die Textsorte selbst zu bestimmen.

Die Begründung für die thematische Freiheit, die Kindern dabei gewährt wird, liegt vor allem in der Erkenntnis, dass man nur dann etwas schreiben kann, wenn man eine Schreibidee hat. Und eine Schreibidee kann man nur entwickeln, wenn die eigenen Gedanken geäußert werden dürfen.

Beim Schreiben zu offenen Schreibanlässen werden durch die Lehrperson thematische Anregungen gegeben. Hierzu stehen viele Möglichkeiten offen: Schreiben zu einem Themenstichwort bzw. Rahmenthema, zu einem Bild, zu Gegenständen, zu Geräuschen etc.

Beim Schreiben zu einem thematischen Stichwort nennt die Lehrperson einen Begriff, zu dem die Kinder schreiben sollen. Die Wahl des Themenstichwortes muss so getroffen werden, dass verschiedene Textsorten denkbar sind. So heißt das Thema beispielsweise nicht „Mein Lieblingstier“, sondern „Tiere“; und nicht „Als ich einmal Angst hatte“, sondern „Angst“. Bei dem breiten thematischen Rahmen „Angst“ oder „Tier“ sind Sachtexte denkbar (Informationen über …) oder appellative Texte (Tierschutz, Angst überwinden) Meinungsäußerungen oder eigenes Erleben, erfundene Erlebnisse oder anderes. Entscheidend ist, dass viele Möglichkeiten zum Textschreiben eröffnet werden.

Denkbare Begriffe für das Schreiben zu einem Rahmenthema können spontan gefunden werden (z. B. in einer Vertretungsstunde), sie können in einem Kästchen gesammelt und situativ eingesetzt werden. Zu Beginn einer Unterrichtsreihe zum Thema Wasser könnte beispielsweise mit einem offenen Schreibanlass begonnen werden. Die Texte könnten gebündelt, präsentiert und während der Bearbeitung des Themas bzw. am Ende wiederum betrachtet werden.

Die Themen selbst müssen große Denk-Spielräume bieten. Die Anzahl möglicher Themen ist damit unendlich! Hier ein paar Beispiele: Jahreszeiten (Frühling, Sommer, Herbst und Winter), Wetter, Regen, Himmel, Sonne, Wasser, Wind, Straße, Schulhof, Ferien, Freunde und Freundinnen, Farben, Baum, Kirmes, Karneval, Gefühle wie Wut, Freude, Trauer, usw. …

Zur Aufgabenstellung
Die Lehrperson erklärt die Aufgabenstellung, nennt das Thema und den zeitlichen Umfang und alle Kinder schreiben. Dies ist der übliche Ablauf eines offenen Schreibanlasses, und so habe ich es - auch in fremden Klassen - erlebt. Ich stelle allerdings des Öfteren fest, dass eine Lehrperson (vor allem junge Leute in der Ausbildung), so übervorsichtig agiert, dass sie ihre Erwartungen so „tief hängt“, dass die Kinder mit zusätzlichen „Angeboten“ bzw. Materialien irritiert werden („Wem nichts einfällt …“). Wenn die Themenstellung tatsächlich offen ist, fällt jedem Kind etwas ein. Und wenn die Schreibzeit kurz genug ist, traut sich auch jedes Kind. Der hier vorgestellte Unterrichtsversuch fand in einer dritten Klasse in einer kleinen Gemeinde zu Beginn des Schuljahres statt. Jedes Kind bekam ein liniertes Blatt und legte einen Bleistift dazu.

Die Aufgabenstellung lautete: „Ihr sollt etwas schreiben. Einen Text. Das Thema nenne ich am Schluss. Jedes Kind schreibt, was es möchte. Die Schreibzeit beträgt 15 Minuten. Also: Jedes Kind schreibt seinen Text mit seiner Überschrift. Das Thema ist ,Schulhof'“. Es gab keine weiteren Hinweise oder Erläuterungen.

Wenn den Kindern das Wort „Text“ nicht bekannt ist, sollte auf keinen Fall von „Geschichten“ gesprochen werden, da dies einen Hinweis auf erzählenden Text beinhaltet. Wichtig ist es zu vermitteln, dass jedes Kind „etwas“ schreiben soll.

Bis auf ein Kind begannen alle Kinder sofort mit dem Schreiben. Zeit zum Nachdenken sollte den Kindern zugestanden werden, d.h. die Lehrperson sollte nicht vorschnell ihre Hilfe anbieten. Der Junge, der nicht sofort mit Schreiben begann, gilt als guter Schüler. Nach einigen Minuten des Nachdenkens fragte ich ihn, wo das Problem liegt. Er sagte daraufhin, dass er nicht gerne auf den Schulhof ginge. Ich habe ihn ermuntert, das aufzuschreiben. Und er hat seine diesbezügliche Meinung schriftlich geäußert.

Erst schreiben, dann die Rechtschreibung korrigieren
Der .Schreibvorgang sollte nicht durch Nachfragen zur Rechtschreibung unterbrochen werden. Daher gab ich die Empfehlung, mit Bleistift zu schreiben und eventuelle Zweifelswörter zu markieren und am Ende nachzuschlagen. Kinder, die die 15 Minuten nicht ganz brauchten, überprüften am fertigen Text die Rechtschreibung (durch Nachschlagen).

Eigene Texte als Leseanlässe
Denkbar wäre auch ein differenziertes Schreibende: Die Kinder stellen sich in kleinen Gruppen ihre Texte gegenseitig vor und erfahren damit eine Würdigung ihrer Arbeit.

In diesem Falle wurden die Texte am nächsten Tag in rechtschriftlich korrigierter Form (per Computer geschrieben) ausgehängt als Leseanlass. Im Anschluss hieran können zusammengehörige Texte gefunden und Merkmale für die Bündelung formuliert werden. Es können sprachlich positive Auffälligkeiten untersucht werden im Sinne von „Sprache untersuchen“. In jedem Falle sind sowohl für die Lehrperson als auch für die Kinder die Text-Ergebnisse eines offenen Schreibanlasses interessant durch die Vielseitigkeit der Produkte.

Thema Schulhof: 25 Mal anders
Von Lehrpersonen wird beim Thema „Schulhof“ oft Konfliktträchtiges erwartet: Streitgeschichten etc. Konkrete Streitigkeiten wurden überhaupt nicht beschrieben. Es wurde lediglich einmal thematisiert, dass es Streit gibt auf dem Schulhof, aber auch verträgliches Spiel. Einmal wird eine Zerstörung beschrieben, einmal die Funktion der Aufsicht. Katharina beschreibt die schützende Funktion der Aufsicht in Verbindung mit ihrer eigenen Meinung bzw. Zuversicht:

Der Schulhof

Auf dem Schulhof toben die meisten oder prügeln sich. Dafür haben wir eine Aufsicht. Die Aufsicht ist dafür da, wenn sich andere Kinder prügeln. Doch trotzdem nützt die Aufsicht manchmal nichts, weil die älteren die kleineren einfach festhalten, dass wir nicht zur Aufsicht gehen können. Oder die anderen nehmen uns immer den Ball ab. Aber trotzdem gehe ich gerne auf den Schulhof, weil mir nichts passieren kann. Aber der Schulhof ist wirklich eine tolle Erfindung, finde ich.
Katharina

Einmal wird das Zanken der aufsichtsführenden Lehrerin thematisiert. Diesen Text halte ich für besonders interessant, da er Einblicke in die Gedankenwelt des Kindes offenbart:

Wenn Pause ist

Ich gehe jeden Tag auf den Schulhof. Auf dem Schulhof spiele ich meistens Frau W. zanken. Und wenn die Klassenkameraden spielen, dann gucke ich meistens zu.
Linda

In diesem Text schimmert eine gewisse Traurigkeit durch, wenn Linda beschreibt, dass sie den anderen Kindern beim Spiel zusieht. Wir können festhalten, dass sich drei Kinder mit dem Thema „Streiten auf dem Schulhof“ befasst haben, aber in sehr unterschiedlicher Weise.

Einige Kinder haben beschrieben, was Kinder auf dem Schulhof spielen (vier), welche Spielmöglichkeiten es generell gibt (vier), wie Fußball gespielt wird (zwei), was sie selbst gerne spielen (dreimal), wer mit wem spielt bzw. Texte von Freundschaft (dreimal) und Ablehnung, wie der folgende.

Der Schulhof

Ich bin in der Pause auf der Kletterspinne und spiele mit Simon, Michael, Andreas und Alex. Wir spielen Hund, Fangen und Klettern. Circa 10x rauf und runter. Dann spielen wir was anderes. Mit einem Freund läuft gar nichts. Es ist Alexander. Mit Simon ist das was.

Hier ein Beispiel für das eigene Fußballspiel, dass besonders lebensnah geschildert wird und durch die Wahl des Tempus (Präsens) die Wirkung einer Filmszene gewinnt:

Fußball spielen

Ich spiele mit meinen Freunden Fußball. Da mache ich einen Köpper. Und dann mache ich ein Tor, und jetzt steht es 1:0. Und jetzt ist die Pause zu Ende.
Michael

Es fanden sich einige wenige Beschreibungen: Zwei Kinder haben die Gesamtanlage des Schulhofs beschrieben, ein Kind ein Spielgerät. Fünf Kinder haben ihre jeweilige Meinung geäußert (siehe auch die Kindertexte in meinem Beitrag auf S. 51 – 55). Was eine Pause ausmacht, wird im folgenden Text deutlich:

In der Pause
In der Pause spielen wir, was das Zeug hält. Weil wir danach wieder lernen müssen. Lesen, Schreiben und Sonstiges. Ich weiß aber manchmal nicht, was ich spielen soll. Weil die Spielgeräte immer proppenvoll (sind). Meistens spiele ich im Sand.
Jojo

In einer Parallelklasse wurde ebenfalls ein offener Schreibanlass zum Thema „Schulhof“ durchgeführt. Hier wurden neun Texte zum eigenen Spiel und zu Spielmöglichkeiten verfasst, fünfmal Meinung, einmal persönlicher Eindruck, fünfmal eigenes Erleben.

Diese Vielseitigkeit der Textproduktion ist für alle Seiten ein Gewinn. Etliche Texte sind herzerfrischend und sind so viel authentischer als Texte, die zum Thema „Was wir auf dem Schulhof spielen können“ in einer anderen Klasse geschrieben wurden. Werden Kinder nicht vorschnell festgelegt auf das, was nach Meinung der Lehrperson geschrieben werden könnte, so können sie ihren eigenen Gedankengängen folgen und zu individuellen Ergebnissen kommen Denn nur, wer etwas zum Schreiben hat, wer eine Schreibidee hat, kann auch etwas zu Papier bringen. Freiheit bedeutet Variabilität, und diese bedeutet wiederum große gestalterische Möglichkeiten.

Literatur

Altenburg, Erika: Offene Schreibanlässe. Donauwörth 1996

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