Lesen ist Verstehen! – von Erika Altenburg

Erika Altenburg, früher Leiterin eines Studienseminars, jetzt Dezernentin bei der Bezirksregierung Köln, ist Mitglied der DGLS  und Autorin etlicher Veröffentlichungen zum Thema Förderung der Texterschließungsfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Hier ihre Stellungnahme zu wesentlichen Aspekten der PISA-Studie:          
Die PISA-Studie gibt Anlass zu vielerlei Fragen hinsichtlich dessen, was in unseren Schulen gelernt oder nicht genügend gelernt wird. Zum Thema Leseverstehen  ergeben sich einige Fragen.   
Was „ist“ eigentlich Lesen?    Lesen ist Verstehen. Wenn das Lesen von Texten nicht mit der Entnahme von Informationen einhergeht, kann nicht von Lesen gesprochen werden. Der überwiegend technische Vorgang des „Übersetzens“  von Buchstaben in Laute und dem Verschleifen zu Wörtern hat noch nichts mit der kommunikativ bestimmten Funktion des Lesens zu tun.     Wird dies in unseren Schulen ausreichend reflektiert? Wird methodisch richtig und sinnvoll gearbeitet?     Der methodische Weg, Lesen zu "üben“, indem Kinder einen unbekannten Text reihum laut vorlesen, ist für das Ziel des Text-Verstehens kontraproduktiv. Die Kinder bzw. Jugendlichen konzentrieren sich dabei auf den Rekodierungsvorgang und verlieren die Aufmerksamkeit für den Sinngehalt eines Textes (das Dekodieren)                     
Wie kann man das Verstehen von Texten gezielt fördern?    Die Fähigkeiten, die zum Text-Erschließen gebraucht werden, können gezielt trainiert werden. Und zwar sowohl in der Primarstufe als auch in der Sekundarstufe I. Denn: Kinder und Jugendliche haben oft Schwierigkeiten, bestimmte sprachliche Wendungen zu verstehen!   
Worin liegen die Verstehens-Schwierigkeiten von Kindern und Jugendlichen?    Beispiele aus der Unterrichtspraxis: Ein Satz in einem Text lautete: "Die Verkäuferin reichte einen Bademantel herüber, den die Kundin anprobieren wollte...“ Keines der Kinder einer fünften Klasse konnte das "den" in Verbindung bringen mit "einen Bademantel".    Text: "Der Kommissar glich einem Bären ...";  Kinder: "Der Kommissar sieht einen Bären....".    Text: "....Strumpfkarussell...." Von welchem Ort ist die Rede?  Kinder (Klasse fünf): "Kirmes".    Textaufgabe (Mathematikbuch für Hauptschulen, Klasse fünf): Ulrike geht mit ihren Eltern in ein Lokal. Sie schaut auf die Speisekarte und sagt: „Oh, 5 Vorspeisen, 6 Hauptgerichte, 4 Nachspeisen, das sind ja mehr als 10 Menüs!“    Keines der Kinder konnte die Aufgabe lösen. D.h., niemand wusste, was zu rechnen war. Wie sich herausstellte, kannte keines der  Kinder  ein "Menü" etc. Als die sachlichen Voraussetzungen (Weltwissen!) geklärt waren (Sonntag Mittag bei der Oma: Suppe, Braten mit Kartoffeln etc., Pudding...), hatten alle Kinder einen Ansatz für die Rechnung.   
Wird im Unterricht das „Richtige“ thematisiert?    Schwierigkeiten, die auf mangelndem Sachwissen beruhen, komplizierte Satzkonstruktionen, im Mündlichen nicht so häufige Wortformen, Bedeutungen, die nicht im Zusammenhang betrachtet und erschlossen werden und andere sprachliche Phänomene werden zu selten im Unterricht thematisiert.    Der Umgang mit Sachbüchern bzw. Sachtexten müsste m.E. ebenfalls einen größeren Stellenwert bekommen.   
Wie kann man selbstständiges Lesen bei Kindern fördern?    Zuerst einmal: Jedes Kind liest still  für sich in seinem Tempo, wie es der natürlichen Lesehaltung im Alltag entspricht. Anschließend wird das Textverständnis thematisiert, Schwierigkeiten werden geklärt.  Wenn der Text inhaltlich bekannt ist, kann der Lese-Vortrag gezielt geübt werden, so dass das Vorlesen für andere für diese anderen zu einem „Vergnügen“ wird.   
Wie kann schon in der Grundschule der Umgang mit Sachinformationen gefördert werden?    Ein Beispiel für die Förderung selbstständiger Informationsentnahme aus Klasse zwei: Werkstatt "Tiere". Die Kinder haben einzeln und in Partnerarbeit Fragen formuliert und auf ein großes Plakat geschrieben. Die Antworten werden in vielen ausgelegten Sachbüchern selbstständig gesucht.  Beispiel: Warum können die Affen so gut klettern?  Antwort: Weil die Bananen sehr hoch oben wachsen!     Wie können in der Sekundarstufe I die Texterschließungsfähigkeiten gefördert und weiter entwickelt werden?    In Bonn wurde vor mehr als 10 Jahren ein Förder-Projekt „Texte verstehen lernen“ in allen fünften und sechsten Klassen der Hauptschulen durchgeführt. Die Förderung bezog sich auf das Verstehen von Texten in Geschichte, Erdkunde, Mathematik (Textaufgaben) etc. Solche Projekte, geplant von einem gesamten Kollegium mit Erfahrungsaustausch und wechselseitigen Anregungen, sollten zum Grundbestand von Schulprogrammen werden.    
Literatur    Altenburg, Erika: Wege zum selbstständigen Lesen. 10 Methoden der Texterschließung. Frankfurt/Main, 1. Aufl. 1991, 7. Aufl. 2001.         Altenburg, Erika: 10 Methoden, wie SchülerInnen selbstständige LeserInnen werden, in: Bartnitzky, Horst / Hecker, Ulrich (Hrsg.): Was tun mit Texten? Handelnder Umgang mit Texten: Konzepte, Beispiele, Tipps, Essen 1991.  

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